piwik no script img

Kommunalwahlen in NorwegenLange Gesichter bei den Sozis

Norwegens Sozialdemokraten verlieren in den Kommunen nach 99 Jahren ihre Stellung als stärkste Partei. Manche fordern einen Kurswechsel auf nationaler Ebene.

Schlechte Umfragewerte und verlorenen Kommunalwahlen: Ministerpräsident Jonas Gahr Støre Foto: Lise Åserud/NTB Scanpix/ap

STOCKHOLM taz | Bei den norwegischen Kommunalwahlen am Montag hat die sozialdemokratische Arbeiterpartei unfreiwillig Geschichte geschrieben: Erstmals seit 1924 verlor sie ihre Stellung als landesweit stärkste Partei.

Mit 21,7 Prozent (minus 3,1 Prozentpunkte) landete die Arbeiderpartiet hinter der konservativen Høyre (25,9 Prozent, plus 5,8 Prozentpunkte), der „blauen“ Oppositionspartei unter Führung von Ex-Regierungschefin Erna Solberg, nur auf Rang zwei. Schon in der Wahlnacht forderten ParteipolitikerInnen Konsequenzen für den weiteren Kurs.

Konkret könnte dies wohl nur eine Aufkündigung der jetzigen Regierungskoalition in Oslo bedeuten. Nach der Parlamentswahl 2021, bei der die Sozis schon ihr zweitschlechtetes Resultat seit 97 Jahren erreichten, hatte Ministerpräsident Jonas Gahr Støre die Wahl zwischen rechts und links. Er entschied sich gegen eine Kooperation mit der Sozialistischen Linkspartei und für eine Minderheitsregierung mit der rechtsliberalen Zentrumspartei.

Die bisherige Regierungszeit prägten Kabinettsumbildungen, weil vier MinisterInnen nach Skandalen ihr Amt räumen mussten. Vor allem aber waren beide Parteien ständig zu Kompromissen gezwungen, mit denen weder die Wählerschaft der Sozialdemokraten noch die des Zentrums zufrieden sein konnten.

Immer miesere Umfrageergebnise für Regierungsparteien

So sackten die Umfragewerte der Regierung immer tiefer, während die Rechtsparteien Høyre und Fortschrittspartei sowie die Sozialistische Linkspartei zulegten.

Natürlich sind bei Kommunalwahlen lokale Fragen zen­tral, aber die norwegischen Medien waren sich einig über den großen Einfluss, den die in Oslo geführte Politik auf das Wahlergebnis gehabt haben dürfte.

„Immer blasser und immer dünner“ sei die Arbeiterpartei geworden, kommentierte die linke Tageszeitung Klassekampen am Dienstag das Wahlresultat und zitiert Jan Oddvar Skisland, den sozialdemokratischen Bürgermeister der südlichen Stadt Kristiansand: Es gebe zu große Unterschiede zwischen Sozialdemokraten und Zentrum, das sei „eine Vernunftehe, von der ich befürchte, dass sie langfristig keiner der beiden Parteien nützt“. Vor der Wahl 2025 „muss etwas geschehen“. Am sinnvollsten sei eine sozialdemokratische Minderheitsregierung, die sich dann jeweils um eine Mehrheit im Parlament bemühen müsse.

Ein Ende der formalen Zusammenarbeit mit dem Zen­trum forderte auch Ex-Umweltminister Thorbjørn Berntsen am Dienstag in der Tageszeitung Dagbladet: Die Arbeiterpartei müsse sich wieder klar „auf der Rechts-links-Achse in der norwegischen Politik“ positionieren und die Kooperation mit den Linksparteien suchen.

Kritik an Parteichef Gahr Støre

Andere sozialdemokratische Stimmen wie der frühere Wirtschaftsminister Trond Giske stellen auch auf die Person von Gahr Støre ab, der stets auf Ausgleich ausgerichtet ist und gern auch klare Fragen mit einem weitschweifigem Pro und Contra beantwortet. Manche Medien vergleichen ihn mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz.

In seinen neun Jahren als Vorsitzender sei die Partei bei Wahlen um mehr als ein Drittel von 33 auf 21 Prozent geschrumpft.

Während es bei der noch schlimmer gebeutelten Zen­trumspartei – sie rutschte gar mit einem Minus von 6,2 Prozentpunkten auf 8,2 Prozent ab – eine ähnliche Debatte zur Frage einer weiteren Regierungsbeteiligung geben dürfte, konnte auf der Linken allein die Sozialistische Linkspartei landesweit zulegen. In der westnorwegischen 7.000-EinwohnerInnen-Gemeinde Rauma konnte sie ihren Stimmenanteil sogar auf 43,4 Prozent mehr als verdoppeln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen