Kommunalwahlen in Kolumbien: Politik bleibt lebensgefährlich
In Kolumbien finden Kommunalwahlen statt. 22 Kandidat*innen wurden bereits umgebracht. Aber es gibt auch Hoffnung.
Am Donnerstag kamen ein oder mehrere vermummte Männer in das Haus von Giraldo und ihrem Verlobten Alexander Parra in der Wiedereingliederungssiedlung für ehemalige Farc-Kämpfer*innen. Sie ermordeten Parra, der sich wie Giraldo in der Friedens- und Versöhnungsarbeit engagierte. Es ist das erste Mal, dass ein ehemaliger Guerillero in einer dieser besonders gesicherten Siedlungen ermordet wurde.
Die Farc-Partei sieht das Verbrechen eindeutig in Zusammenhang der Wahl. Nach Zeitungsberichten wurde auch Kandidatin Giraldo bei dem Attentat verletzt. Es war bis Samstagabend nicht möglich, mit ihr zu sprechen.
Am Sonntag sind in Kolumbien Kommunal- und Regionalwahlen. Es sind die ersten seit dem Friedensabkommen zwischen der Farc-Guerilla und dem Staat. Insgesamt etwa 117.000 Kandidat*innen wollen in den Departamentos, Städten und Gemeinden mitregieren oder diese anführen.
Mehr Gewalt als Folge des Friedensprozesses
Doch wer Politik machen will, lebt in Kolumbien weiter gefährlich. Es gab Attentate auf Parteizentralen. Kandidat*innen wurden bedroht, angegriffen, entführt, mindestens 22 ermordet. Es traf Parteien aller Richtungen.
Der bekannteste Fall war der von Karina García, die als erste Frau Bürgermeisterin von Suárez werden wollte, einer Gemeinde in einer der gefährlichsten Regionen des Landes. Sie wurde im September zusammen mit sechs Begleiter*innen bei einem Attentat ermordet.
Nach den Analysen der unabhängigen kolumbianischen Stiftung Frieden und Versöhnung (Pares) hat die Gewalt im Wahlkampf im Vergleich zu den letzten Kommunal- und Regionalwahlen im Jahr 2015 zugenommen. Das ist eine Folge des Friedensprozesses. Seit dem Friedensabkommen ist die politische Landschaft in Kolumbien vielfältiger und das ganze Land politischer geworden. Immer mehr Menschen trauen sich, für ihre Rechte und Anliegen politisch zu kämpfen.
Das ist jedoch eine Gefahr für die alteingesessenen Mächtigen und ihre Strukturen in den Regionen. Sie bekämpfen ihre politischen Gegner*innen mit Gewalt – bis hin zum Mord per Auftragskiller. „In 11 der 32 Departamentos sind die Clans so stark, dass die Wahlen unnötig sind, weil klar ist, wer gewinnt“, sagt Ariel Ávila, Subdirektor der Stiftung Pares und wohl der bekannteste Politikwissenschaftler des Landes. Seit Monaten recherchieren er und seine Kolleg*innen dazu. Sie haben tausend Hinweise erhalten.
„Wir Frauen wollen endlich Zugang zur Macht“
Wahlen bedeuten in Kolumbien viel Geld und sind ein Nährboden für Korruption. Die Wahlkämpfe sind teuer, eine staatliche Parteienfinanzierung gibt es nicht. Eine Wahlreform, die das ändern sollte, scheiterte im Parlament. Und Korruption bleibt meist straffrei.
Doch es gibt Gegenbewegungen. In Medellín, der zweitgrößten Stadt, tritt eine politische Frauen-Bewegung an, um als erste im Land mit einer Kollektivliste in den Stadtrat einzuziehen. „Estamos Listas“ heißt sie, „Wir sind bereit“. Geboren wurde die Bewegung im Jahr 2017. Die Mehrheit im konservativen Medellín stimmte damals beim Volksentscheid gegen das Friedensabkommen mit der Farc-Guerilla. Aus Frust über dieses Ergebnis beschlossen fünf Frauen, sich künftig politisch in ihrer Stadt zu engagieren.
Die mittlerweile über 2.000 weiblichen Mitglieder der Bewegung – von der Bäuerin bis zur Uni-Professorin – haben per Online-Wahl zwölf Kandidatinnen bestimmt. Ohne personalisierten, teuren Wahlkampf, sondern mit einer wachsamen Eule auf dem Stimmzettel wollen sie mindestens 3 der 21 Sitze im Stadtrat erringen. Sie finanzieren sich über den Verkauf von Tüchern, Armbändern und Tassen mit Eulen-Motiv, Benefizkonzerte und Kleinspenden.
Um unabhängig die Stadtregierung kontrollieren zu können, haben sie bewusst keine Bürgermeister-Kandidatin aufgestellt. Mit einem neuen Politikstil wollen sie sich für mehr Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und gegen die zunehmende Gewalt gegen Frauen einsetzen. „Wir Frauen wollen endlich Zugang zur Macht bekommen, um Entscheidungen zu treffen, die helfen, die Kluft zwischen den Geschlechtern zu schließen“, sagt Listenerste Dora Saldarriaga.
Wo steht die Farc in den Gemeinden wirklich?
Wer am Ende in Kolumbien gewinnen wird, ist schwer zu sagen, meint Victor Barrera. Er ist bei der Organisation Cinep Berichterstatter für die internationalen Beobachter zum Punkt politische Teilhabe im Friedensabkommen. Das hängt vor allem mit dem Boom der Allianzen bei den diesjährigen Wahlen zusammen. Kandidat*innen werden häufig von drei und mehr Parteien unterstützt. „Alle Parteien werden sagen, dass sie gewonnen haben“, sagt Barrera.
Für die Farc-Partei sind die Kommunalwahlen eine Feuerprobe. Bei den Parlamentswahlen 2018 garantierte der Friedensvertrag ihr Sitze, ohne die es die Partei niemals ins Parlament geschafft hätte. Bei den Regionalwahlen gibt es keine Garantie. Von den 308 Kandidat*innen sind nur ein Drittel ehemalige Kämpfer*innen. Bemerkenswert ist, dass auch einige Opfer der Farc unter den Kandidat*innen sind – die sich mit dem sozialen Schwerpunkt der Partei identifizieren und an einem neuen Kolumbien mitarbeiten wollen.
Wahrscheinlich werden die Farc-Kandidat*innen aber nur wenige Sitze in kleinen Gemeinden erringen, schätzt Víctor Barrera. Er begründet dies auch damit, dass andere Parteien in den meisten Fällen nicht mit der Partei der ehemaligen Guerilla zusammenarbeiten wollen – aus Angst um ihr Image bei der Wählerschaft oder um die eigene Sicherheit. Das jüngste Attentat auf Luz Marina Giraldo und ihren Verlobten werden sie wohl als Bestätigung dafür sehen.
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