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Kommunalwahl in der TürkeiZähl, zähl … das Ergebnis bleibt gleich

Istanbul bekommt wohl tatsächlich einen neuen Bürgermeister. Eine Neuauszählung hat am Wahlergebnis bislang nichts geändert.

Mischt sich unter die Leute: CHP-Kandidat und Wahlsieger Ekrem İmamoğlu Foto: reuters

Istanbul taz | Nach erneuter Auszählung von Wählerstimmen in Istanbul liegt der Oppositionskandidat Ekrem İmamoğlu nach wie vor vorn. Während in drei Bezirken alle Stimmen neu ausgezählt werden, geht es in weiteren 22 Bezirken um als ungültig gewertete Stimmen. Bis Sonntagabend soll die Nachzählung komplett abgeschlossen sein. In der Kommunalwahl am Sonntag hatte sich die oppositionelle CHP sowohl in der Hauptstadt Ankara als auch in Istanbul gegen die Kandidaten der AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan durchgesetzt. Die AKP hatte daraufhin eine Neuauszählung beantragt.

Die bislang festgestellten Abweichungen vom Wahlergebnis sind nach Angaben der Opposition minimal. Da Vertreter aller beteiligten Parteien bei der Neuauszählung anwesend sind, kann die Opposition die Abweichungen überblicken. Demnach geht es bislang nur um jeweils wenige hundert Stimmen. Setzt sich dieser Trend fort, bleibt es bei einem Vorsprung für İmamoğlu von 20.000 bis 25.000 Stimmen.

Die Opposition befürchtet jedoch, dass Wahlunterlagen im Nachhinein gefälscht werden könnten. Mitglieder der CHP und andere Oppositionelle bewachen deshalb Tag und Nacht die im jeweiligen Bezirk zentral gelagerten Wahlzettel. İmamoğlu forderte am Mittwoch ein Ende des Versuchs der AKP, seine Ernennung zum Bürgermeister zu verzögern. Während einer Pressekonferenz sagte er, er habe Informationen, dass im Rathaus von Istanbul Dokumente beiseite geschafft und massenhaft Papiere geschreddert würden.

Wie schon in der Wahlnacht ist İmamoğlu im Gegensatz zu seinem AKP-Gegenkandidaten Binali Yıldırım weiter in der Öffentlichkeit präsent. Während sich der frühere Ministerpräsident regelrecht verschanzt, mischt sich İmamoğlu unter die Leute. Auf einem Istanbuler Markt wurde er am Donnerstag begeistert gefeiert. Aus dem AKP-Lager heißt es, er würde sich bereits als Bürgermeister aufspielen.

In den sozialen Medien kursiert ein Video, das Erdoğan in einer Moschee zeigt, umgeben von aufgebrachten Anhängern. Der Präsident versucht sie mit dem Hinweis zu beruhigen, man habe in der Istanbuler Stadtverordnetenversammlung ja immer noch eine Mehrheit, auch wenn İmamoğlu Bürgermeister sei.

Parteiintern werden in der AKP nach Medienberichten bereits die Messer gewetzt und Schuldige für das Wahldebakel gesucht. Es sei die Rede von einer umfassenden Kabinettsumbildung und einem Austausch etlicher AKP-Provinzgrößen.

HDP-Antrag auf Neuauszählung abgelehnt

Auch in Ankara hat die von der AKP durchgesetzte Nachzählung der Stimmen den Sieg des Oppositionskandidaten Mansur Yavaş wohl nicht beeinträchtigen können. In der Hauptstadt ist der Vorsprung allerdings auch wesentlich größer. Die Nachzählung ist jedoch noch nicht abgeschlossen.

In der Stadt Muş in der Osttürkei hat der Wahlrat anders als in Istanbul und Ankara den eingelgten Einsprüchen nicht stattgegeben. Dort hatte nicht die AKP, sondern die kurdisch-linke HDP Nachzählungen beantragt. In mehreren Bezirken der Stadt hatte der jeweilige AKP-Kandidat mit weniger als zehn Stimmen Differenz gewonnen.

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1 Kommentar

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  • Es ist schon verwunderlich, dass die Türkei sich gegen ihren Präsidenten wehrt. Der wird die Diktatur weiter ausbauen - muss er auch, denn es gibt immer mehr Widerstand. Fragt sich nur, ob Erdogan einen Bürgerkrieg riskiert. Aber die Ergebnisse sind unglaublich, es gibt Gebiete, da hat angeblich niemand eine linke oder kemalistische Partei gewählt, in Konya leben demnach nur Islamisten. Diese Wahlen können in dieser Form nicht mehr stimmen. In den kurdischen Gebieten wurde eigentlich auch ganz offen betrogen.