Kommunalwahl in NRW: SPD gewinnt Revierkampf
Im Ruhrgebiet trotzen die Sozialdemokraten dem Bundestrend. In Essen erobern sie das Rathaus zurück, in Gelsenkirchen fahren sie sogar 64 Prozent ein.
DORTMUND taz | In Dortmund wolle er sehen, wie die "Herzkammer der Sozialdemokratie" wieder zu schlagen beginne, hatte Nordrhein-Westfalens einstiger SPD-Chef Harald Schartau schon am Wahlnachmittag gesagt. Und tatsächlich konnten die Sozialdemokraten ihre Hochburg Ruhrgebiet bei der Kommunalwahl trotz miserabler Umfragewerte im Bund verteidigen und zurückerobern.
Dortmund, Oberhausen, Mülheim, Bottrop und Herne - überall regieren künftig SPD-Oberbürgermeister, stellen die Sozialdemokraten die stärkste Fraktion, bleibt die Linke schwach.
Unter frenetischem Jubel seiner Sozialdemokraten trat Dortmunds neuer Oberbürgermeister Ullrich Sierau nur eine Stunde nach Schließung der Wahllokale auf die Empore des Rathauses - und torpedierte so ein Fernsehinterview, das sein CDU-Herausforderer, der blasse Jurist Joachim Pohlmann, gerade live im Foyer gab. 45 Prozent für Sierau, 36 für Pohlmann, so lautete schließlich das Ergebnis.
Dortmunds Sozialdemokraten wirken selbst nach Verlusten wie euphorisiert. Dabei sind die knapp 38 Prozent, auf die sich die SPD-Ratsfraktion künftig stützen kann, kein gutes Ergebnis für die seit 1949 ununterbrochen regierenden Genossen. Auch der direkt gewählte Kandidat Sierau verlor gegenüber seinem SPD-Vorgänger Gerhard Langemeyer 2,6 Prozentpunkte.
Wirklichen Grund zum Jubel hatten die Sozialdemokraten dagegen in der Reviermetropole Essen: Nach zehn Jahren ist das Essener Rathaus wieder rot. Mit 46 Prozent setzte sich SPD-Kandidat Reinhard Paß klar gegen den Christdemokraten Franz-Josef Britz durch, der nur 35 Prozent der Stimmen bekam.
Auch im Rat legte die SPD 3 Punkte zu und stellt mit über 37 Prozent die stärkste Fraktion. Die CDU verlor dagegen über 7 Prozentpunkte und erreichte nur noch knapp 32 Prozent. "An einen so deutlichen Sieg habe ich nicht geglaubt", gestand Sozialdemokrat Paß vor laufenden Kameras.
In Gelsenkirchen gelang dem SPD-Oberbürgermeister Frank Baranowski gar ein Kantersieg: Der 47-Jährige erhielt bei der Direktwahl trotz eines grünen Gegenkandidaten fast 64 Prozent der Stimmen. In der nordrhein-westfälischen SPD gilt Baranowski jetzt als Kronprinz, der die Landesparteichefin Hannelore Kraft im Fall einer Niederlage bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr beerben könnte.
Auch im Gelsenkirchener Rat stellen die Sozialdemokraten mit 50,4 Prozent die absolute Mehrheit, die CDU kommt nach Verlusten von fast 13 Prozentpunkten auf nur noch 22 Prozent.
In Bochum war die Stimmung am Wahlabend dagegen gedrückt, die Party früh zu Ende. Zwar konnte SPD-Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz ihr Ergebnis um über 5 Prozentpunkte verbessern und satte 52 Prozent der Stimmen holen, im Rat aber sind die lange an absolute Mehrheiten gewöhnten Sozialdemokraten weiter auf die Grünen angewiesen: Die SPD fiel auf 38, die CDU auf 27 Prozent.
Lange Gesichter machten die Sozialdemokraten auch in Mülheim und Oberhausen: Ergebnisse von 34 und 44 Prozent gelten hier noch immer als Enttäuschung.
Spannend dürften deshalb die Koalitionsverhandlungen in den Rathäusern werden: Schon am Montag warnen Grüne etwa in Dortmund vor einem Bündnis von SPD und CDU. Noch aber gibt sich Dortmunds Grünen-Chef Mario Krüger trotz Streitpunkten wie Flughafen und Straßenausbau zuversichtlich: "Für die SPD sind wir der erste Ansprechpartner."
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Forscher über Einwanderungspolitik
„Migration gilt als Verliererthema“
Abschied von der Realität
Im politischen Schnellkochtopf
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat