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Kommunalwahl in AlbanienAbstimmung mit den Füßen

Es wird gewalttätiger: Kämpfe zwischen Anhängern von Regierung und Opposition überschatten das Votum am Sonntag.

Regierungschef Edi Rama in seinem Büro. Die Zahl 30 spielt auf den Wahltermin an Foto: ap

Berlin taz | In einer Schule in der nordalbanischen Stadt Shkodra versammeln sich Anhänger der Opposition. Sie legen ein Feuer, vernichten Unterlagen. In der Schule sollen die BürgerInnen eigentlich am Sonntag ihre Stimmen abgeben – es finden Kommunalwahlen statt.

Die Brandstifter wollten das verhindern. Ähnliche Zwischenfälle gab es auch in den Städten Tropoja, Kukës und Burrel. In Gemeinden, in denen die oppositionelle konservative Demokratische Partei (DP) regiert, überwacht die Polizei schon jetzt die Sicherheitslage. Denn bis Sonntag und am Wahltag selbst werden weitere Zwischenfälle dieser Art erwartet.

Staatspräsident Ilir Meta hatte die Wahlen schon abgesagt. Ein demokratischer Ablauf sei unter den aktuellen Umständen nicht möglich, so seine Begründung.

Seit Februar protestieren AnhängerInnen der DP. Sie versuchen ins Parlament in Tirana einzudringen und liefern sich Kämpfe mit der Polizei. Die DemonstrantInnen werfen dem Premierminister und Chef der Sozialistischen Partei (SP) Edi Rama Wahlbetrug und Korruption vor und fordern seinen Rücktritt.

Absetzung angedroht

Rama widersprach Meta und drohte, ihn als Staatspräsidenten abzusetzen. Zwischen den beiden gibt es auch einen persönlichen Clinch: Seit Rama nach den Parlamentswahlen 2017 eine Alleinregierung ohne Metas sozialistische Splitterpartei Sozialistische Bewegung für Integration bildete, feinden sie sich immer wieder an. Die nationale Wahlkommission hat der Wahl aber grünes Licht gegeben.

Was sich in Albanien derzeit abspielt, ist eine handfeste Verfassungskrise. Das Verfassungsgericht, das hier entscheiden könnte, ist aber seit gut einem Jahr arbeitsunfähig. Im Zuge einer Justizreform, die die Rama-Regierung im vergangenen Jahr durchführte, sind die meisten RichterInnen zurückgetreten.

Die Wurzeln des Konfliktes liegen mindestens 30 Jahre zurück. Seit dem Ende der kommunistischen Diktatur von Enver Hodscha wurden Verbrechen kaum aufgearbeitet, Täter von damals sitzen heute noch im Parlament.

Laut des Direktors des Instituts für Politische Studien in Tirana, Afrim Krasniqi, konnte sich so ein klientelistisches System entwickeln, in dem kriminelle Gruppen und Politik eng verbandelt sind – und das auf beiden politischen Seiten. „Selbst riesige Korruptionsskandale um Stimmenkauf haben niemals dazu geführt, dass gegen jemanden, einschließlich Minister und Abgeordnete, Polizeibeamte oder Beamte des öffentlichen Sektors Ermittlungen eingeleitet wurden“, sagt Krasniqi.

Kein Wille zum Kompromiss

Im Parlament bekämpfen sich die verfeindeten Lager, der Wille zu Kompromissen fehlt. So würden der aktuelle Konflikt und die seit Monaten andauernden Demonstrationen auch „von der Spitze, von der politischen Elite selbst, und nicht von den Bürgern“ getragen. „Die politische Elite hat den Kontakt zur Realität längst verloren“, erklärt Krasniqi.

Die EU-Kommission bescheinigte Albanien jedoch im Mai Fortschritte im Reformprozess. Die Regierung habe wichtige Maßnahmen gegen die organisierte Kriminalität, Korruption und den Drogenhandel ergriffen und damit begonnen, die Justiz radikal zu reformieren. Die Kommission empfahl der EU daher, die Beitrittsgespräche aufzunehmen. Eine Entscheidung darüber vertagten die EU-MinisterInnen vergangene Woche auf den Herbst.

Krasniqi sieht die Kommunalwahl als einen Test für die anstehenden Gespräche in Brüssel. „Die aktuelle politische Krise wird zeigen, ob die politischen Eliten endlich aus ihren Fehlern gelernt haben und den politischen Willen haben, sich auf die EU-Integration zu konzentrieren.“ Außerdem sei die Kommunalwahl ein erster Stimmungstest in Hinblick auf die Parlamentswahl, die möglicherweise auf Ende des Jahres vorgezogen wird.

Dieser Stimmungstest dürfte bestenfalls ein verzerrtes Bild abgeben. Die Opposition hat angekündigt, die Abstimmung am Sonntag zu boykottieren. Denn in vielen Wahlkreisen tritt nur ein Kandidat an. Außerdem kontrolliert die DP fast die Hälfte der Bezirke des Landes – ob sie die Wahl hier überhaupt zulässt, ist fraglich. Vor allem die nördlichen, von den DP dominierten, Gemeinden dürften die Ergebnisse ohnehin nicht anerkennen. Weitere Unruhen sind dann programmiert.

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