Kommission zu Wahlchaos in Berlin: Ein Weckruf für die Politik
Berlin muss das Verhältnis von Land und Bezirken neu regeln. Die Erkenntnisse der Wahl-Kommission zeigen: Das muss schnell passieren.
D ie Schlussfolgerung aus dem Wahlchaos 2021 wirkt nur auf dem ersten Blick dramatisch: „Wir brauchen in Berlin eine Diskussion über eine Verwaltungs- und Verfassungsreform“, bilanzierte der Politikwissenschaftler Stephan Bröchler am Mittwoch. Noch immer, so das Mitglied der vom Senat eingesetzten Expert*innenkommission Wahlen, laboriere die Stadt an den Folgen ihrer Entstehung 1920, als Berlin durch viele Eingemeindungen auf seine heutige Größe wuchs: Man versuche krampfhaft, Bezirks- und Landesinteressen auf einen Nenner zu bringen.
Die Folgen sind ein Kompetenzwirrwarr in vielen Bereichen und mangelhafte Kommunikation, was nicht zuletzt immer wieder dann zu Problemen führt, wenn die Bezirke die Ausführenden sind: Wie sie eine Vorgabe umsetzen (und manchmal auch: ob überhaupt), ist weitgehend ihnen überlassen. Manchmal ist das sinnvoll. Aber im Fall der Vierfachwahl am 26. September 2021 waren die ungeklärten Verantwortlichkeiten laut der Expert*innenkommission ein wesentlicher Grund für das Chaos mit langen Schlangen, fehlerhaften Stimmzetteln und letztlich einem Vertrauensverlust der Bürger*innen. Das ist nahe am Worst Case.
Seit Jahren wird gefordert, die Beziehungen zwischen Bezirken und Land auf eine neue Grundlage zu stellen. Doch an den großen Wurf wagte sich der jeweilige Senat dann doch nie. Verständlich, wenn man den Aufwand betrachtet: Lange, zähe Verhandlungen sind gewiss, der Applaus der Wähler*innen ist aber eher fraglich. Manche munkeln gar, eine solche Reform wäre gar nicht mehr machbar, weil sie sich nicht innerhalb einer Legislaturperiode umsetzen ließe.
Die Gelegenheit ist eigentlich günstig
Doch wer die mahnenden Worte der Expert*innenkommission liest, weiß: Es braucht zumindest den Versuch. Im rot-grün-roten Koalitionsvertrag ist eine Verwaltungsreform verabredet. Und nie war die Gelegenheit so günstig: Alle Bezirksbürgermeister*innen gehören entweder SPD, Grünen oder der Linken an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“