Kommission will Sammelklagen: EU bald mit Verbraucherschutz?

Reaktion auf Dieselgate: Die EU will Entschädigungen für geprellte Konsumenten ermöglichen. Allerdings müssen die Mitgliedsstaaten zustimmen.

Eine Frau trägt eine Box mit der Aufschrift "Abgasskandal Schweizer Schadenersatzklage", es stehen sehr viele Boxen herum

In der Schweiz schon möglich: Sammelklagen gegen VW Foto: dpa

BRÜSSEL taz | Ein Jahr vor der Europawahl 2019 hat die EU-Kommission ihr Herz für Verbraucher entdeckt. Die zuständige Kommissarin Vera Jourova schlug am Mittwoch in Brüssel einen „New Deal“ für Konsumenten vor, der die aus den USA bekannte, in Europa aber umstrittene Möglichkeit für Sammelklagen enthält. Außerdem sind härtere Strafen bei Verstößen gegen den Verbraucherschutz geplant.

Mit ihrem Vorschlag, der noch von den EU-Mitgliedern und dem Parlament verabschiedet werden muss, reagiert Jourova auf den Betrugsskandal um Dieselfahrzeuge von Volkswagen und anderen Autokonzernen. „Dieselgate“ war vor zweieinhalb Jahren von US-Behörden aufgedeckt worden – die eigentlich zuständigen EU-Behörden hatten versagt.

Während Verbraucher in den USA mit Milliardenbeträgen entschädigt wurden, gingen die meisten KonsumentInnen in der EU leer aus. Nur in zwei EU-Ländern seien insgesamt 5,5 Millionen Euro ausgezahlt worden, sagte Jourova. Um diesen Missstand zu beheben, sollen Gesetzesverstöße künftig strenger geahndet werden. Verbraucherschutzorganisationen sollen Strafzahlungen von bis zu 4 Prozent des Jahresumsatzes der betroffenen Unternehmen in dem jeweiligen Land verhängen können. „Es darf nicht billig sein, zu betrügen“, begründet Jourova den Vorschlag.

Die wichtigste Neuerung betrifft die Sammelklagen. „Qualifizierte Institutionen“ wie Verbraucherverbände sollen künftig das Recht erhalten, stellvertretend für die geschädigten Verbraucher auf Unterlassung und auf Schadenersatz zu klagen. Auch außergerichtliche Einigungen sollen möglich sein.

„Wir schaffen ein eigenes EU-Modell“

Bisher gibt es kollektive Klagerechte nur in fünf EU-Ländern. Das deutsche Recht sieht diese Möglichkeit nicht vor. Mit ihrem Vorschlag wolle sie keine Klageindustrie wie in den USA schaffen, sondern für Fairness sorgen. „Wir schaffen ein eigenes EU-Modell“ sagte die Kommissarin.

Die Autolobby und die Wirtschaftsverbände schenken diesen Worten jedoch keinen Glauben. Sie laufen Sturm gegen die Initiative, die die EU-Kommission wegen des Widerstands immer wieder verschoben hatte. Der Bundesverband der Deutschen Industrie wählte die ganz große Keule: Brüssel gefährde den „Rechtsfrieden“ in Europa. Sammelklagen würden das (deutsche) Rechtssystem schädigen und die Unternehmen massiv benachteiligen, warnt der BDI.

Vera Jourova, EU-Kommissarin

„Es darf nicht billig sein, zu betrügen“

Auch der europäische Dachverband Business Europe fährt schweres Geschütz auf. Die EU-Kommission präsentiere eine Lösung, obwohl es gar kein Problem gebe, hieß es.

Kritik kommt auch aus dem Europaparlament. Sammelklagen erhöhten nicht zwangsläufig das Schutzniveau der Verbraucher, sagte der CDU-Abgeordnete Andreas Schwab. Der Vorschlag werfe Fragen auf, sagte Schwab im Namen der konservativen EVP-Fraktion, die den Ton im Parlament angibt. Demgegenüber begrüßten Sozialdemokraten und Grüne den Vorstoß.

Wer den Verbraucherschutz stärkt, stärke auch die EU, sagte der grüne Europaabgeordnete Claude Turmes. Er will sich dafür einsetzen, dass Sammelklagen auch bei Schäden für Gesundheit und Umwelt sowie Verletzung von Arbeitnehmerrechten möglich werden. Im nun vorgelegten Entwurf ist das nicht vorgesehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.