Kommentar: Verschlusssache Kinderheim
Bei den Mädchenheimen des Friesenhofes hat nicht nur die Heimaufsicht versagt. Schuld war auch eine Rechtslage, die der Lobby der Heimbetreiber in die Hände spielt
Worin liegt der Skandal um die Friesenhof-Heime? Darin, dass ein Mädchenheim mit harten Camp-Strukturen jahrelang mit dem Wissen der Behörden arbeiten durfte? Oder darin, dass die zuständige Ministerin nichts davon wusste? Liegt er darin, dass E-Mails über interne Vorgänge im Ministerium gelöscht wurden? Oder darin, dass ein Jugendamt in Hamburg ein solches Heim über Jahre belegt, und der Stadtstaat nun seine Hände in Unschuld wäscht, weil er ja für die Aufsicht nicht zuständig ist?
Schleswig-Holstein ist Import-Land für Heimkinder. Allein im Kreis Dithmarschen waren im Juni 2013 von 703 Heimplätzen nur 107 mit Kindern aus dem Kreis belegt. Die Meldorfer Familienrichterin Christiane Origies hat vorgerechnet, dass dies ein Wirtschaftsfaktor für den armen Landkreis ist. Von geschätzten 25 Millionen Euro für Heimplätze fließen 21 Millionen aus anderen Bundesländern nach Dithmarschen.
Auch wenn die Wohlfahrtsverbände vorrechnen, dass man mit Heimen nicht reich würde, sind dies doch gewachsene Ökonomien mit eigenem Überlebensinteresse. Und der Trend geht weiter: In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Heimplätze in Schleswig-Holstein von 7.084 auf 8.764 gestiegen. Die Hälfte aller Hamburger Heimkinder wird außerhalb untergebracht, oft in kleinen Dörfern. Die Jugendämter sind geleitet von der romantischen Vorstellung, dass Land und Seeluft den Kindern gut tun. Aber spätestens wenn sie volljährig werden und das Amt nicht mehr zahlt, ist die Eingliederung in die Gesellschaft schwierig.
Das Problem liegt vielleicht auch darin, dass die Heimlobby in Schleswig-Holstein so stark ist. Eine Verordnung des Sozialministeriums in Kiel zum Schutz der Kinder wurde durch ein Rechtsgutachten der Heimverbände ausgebremst, das fordert, die juristischen Spielräume für autoritäre Konzepte bis zum Anschlag auszunutzen. Die frühere Friesenhof-Chefin hat bereits gegen die Schließung ihrer Heime geklagt. Sie habe alle Auflagen erfüllt, die Vorwürfe seien Folge von „Verleumdungen“.
Die Frage, mit welchen Konzepten Heime Kinder behandeln, gilt in diesem Staat als „Geschäftsgeheimnis“, nicht aber als Frage von öffentlichem Interesse. Und gibt es im Heim eine Kindeswohlgefährdung, sieht das Gesetz im Umgang mit Trägern eine Art Kuschelpädagogik vor: Die Heimaufsicht muss ihnen mit Auflagen die Chance einräumen, sich zu bessern, bevor man sie schließt. Das war auch schon bei den Haasenburg-Heimen in Brandenburg das Problem.
Der Skandal liegt wohl aber auch darin, dass autoritäre und längst abgeschafft geglaubte Konzepte unter Begriffen wie „robuste Jugendhilfe“ wieder salonfähig sind, wie auch das Bremer Beispiel der „Kannenberg Akademie“ zeigt. Ausgehend von der Debatte um Jugendgewalt zur Jahrtausendwende fand in den Köpfen einiger Pädagogen ein Haltungswechsel statt, wonach Anpassung an Regeln und Normen das oberste Ziel von Jugendhilfe zu sein hat und dem Kind sein böses Ich mit konfrontativer Härte auszutreiben sei.
Dem Versagen der Heimaufsicht wird sich in Kiel ein Untersuchungsausschuss widmen. Aber es sind es auch die Fehlentwicklungen in den Köpfen, die aufgearbeitet werden müssen. Kaija Kutter
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