Kommentar: Auch Provinzler kommen an die Macht
Der SPD und Kurt Beck geht es besser, als es den Anschein hat. Mit der Mindestlohn-Debatte schenkt Merkel den Sozialdemokraten ein Wahlkampfthema.
D ie SPD scheint derzeit von einer Krise in die nächste zu taumeln. Bei Umfragen schneidet sie miserabel ab, über ihren Chef Kurt Beck wird gespottet und sogar bei der SPD-Basis ist Angela Merkel beliebter als Beck. Hinzu kommt anscheinend ein strategisches Dilemma: Wenn die SPD - wie nach dem Mindestlohn-Kompromiss - die Union angreift, kommt das schlecht an. Typisch SPD, heißt es dann, eine Regierungspartei kann doch nicht so tun, als wäre sie in der Opposition. Doch lässt sie dies und fügt nur kleinlaut hinzu, dass mehr leider nicht drin war, treibt die Linkspartei sie genüsslich vor sich her. So ungefähr steht es in vielen Zeitungen, und so sieht es auch aus. Allerdings ist vieles daran übertrieben, manches falsch.
Stefan Reinecke ist Redakteur der taz. Er ist Autor des Buches "Otto Schily. Vom RAF-Anwalt zum Innenminister".
Der Affront gegen Kurt Beck hat alle Züge einer medialen Kampagne, die sich selbst verstärkt. Merkel macht derzeit bella figura, Beck wirkt in Berlin noch immer provinziell. Je öfter das so in der Zeitung steht, umso mehr nimmt es den Charakter einer Tatsache an, umso öfter steht es in der Zeitung etc. Doch solche Kampagnen kommen und gehen. Der Kernvorbehalt gegen Beck wirkt jedenfalls eher bescheiden. Wenn Provinzialismus ein Stolperstein auf dem politischen Weg nach ganz oben wäre, dann hätte es 16 Jahre Helmut Kohl nie geben dürfen. Und: Die Umfragen mögen für die SPD mies sein, die Wahlaussichten sind es nicht. In Hessen, wo neben Niedersachsen in sieben Monaten gewählt wird, kann die SPD schaffen, was vor einem Jahr noch völlig undenkbar war: Roland Koch besiegen.
Beck hat jetzt beim Programmparteitag in Hannover die SPD als Sozialstaatspartei gegen die Union in Stellung gebracht. Das ist die richtige Richtung, der Mindestlohn das richtige Thema. Denn das Dilemma der SPD, den Mindestlohn in dieser Regierung nicht durchsetzen zu können, hat auch eine erfreuliche Seite. Merkel hat damit der SPD ein glänzendes Wahlkampfthema geschenkt, mit dem die SPD die Union an einer empfindlichen Stelle treffen wird: der Gerechtigkeit. Die SPD kann die Koalition ohne absolut zwingenden Grund nicht platzen lassen - und muss trotzdem klare Trennungslinien zur Union ziehen. Das gelingt ihr gar nicht so schlecht.
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