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KommentarDas Doppelgesicht der Früherkennung

Kommentar von Harry Kunz

Früherkennung und Prävention gelten hierzulande als Privatsache. Deshalb entwickelt sich nur in den oberen Schichten ein Gesundheitsbewusstsein.

I n Deutschland sind die Menschen unnötig krank. Zahllose Studien und Erfahrungen aus anderen Ländern belegen, dass die Häufigkeit problematischer Krankheitsverläufe insbesondere bei den Volkskrankheiten wie Diabetes oder Krebs durch bessere Vorsorge und Früherkennung deutlich gesenkt werden kann. Doch Früherkennung und Prävention gelten hierzulande als Privatsache, und deshalb entwickelt sich nur in den oberen Schichten ein ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein.

Ein Festhalten am Dogma der nur freiwilligen Früherkennung und Prävention vergrößert in einer gespaltenen Gesellschaft die gesundheitlichen Ungleichheiten: Am ehesten angesprochen werden die ohnehin gesundheitsbewussten Angehörigen der Mittel- und Oberschichten. Sozial Unterprivilegierte werden deutlich weniger erreicht, obwohl diese Personengruppen häufiger krank sind. Armut und soziale Randständigkeit bewirken auch eine hartnäckige aus fehlender Anerkennung und Perspektivlosigkeit erwachsene Mentalität, die einem freiwilligen gesundheitsbezogenen Engagement entgegensteht. Obwohl staatliche Politik von Früherkennung und Prävention immer auch ein Instrument der Disziplinierung und Normierung darstellt: Finanzielle Anreize zur Beteiligung an Früherkennungsmaßnahmen für Angehörige unterer Sozialschichten besitzen dann ein emanzipatorisches Potenzial, wenn sie zu eigenem gesundheitsbezogenem Engagement ermuntern.

Problematisch ist eine Pflicht zur Früherkennung aber dann, wenn sie eine Ideologie des "Jeder ist für seine Gesundheit selber verantwortlich" weiter stärkt oder eine Expertenherrschaft fördert, die die Betroffenen entmündigt. Das ist etwa in der Diskussion über Reihenuntersuchungen bei Brustkrebs zu erkennen. Vernebelt wird nicht nur der Unterschied zwischen der Vermeidung und der bloßen Früherkennung einer Erkrankung. Ein Zwang zur Reihenuntersuchung ohne Qualitätsverbesserungen erhöht zudem die Zahl falscher Diagnosen und spricht Frauen unter Verweis auf die Statistik pauschal die Kompetenz zur gesundheitlichen Eigenwahrnehmung ab.

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1 Kommentar

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  • IM
    Iris Michelmann

    Ich arbeite für das Mammographie-Screening-Programm im Bergischen Land. Mehrheitlich, wenn nicht sogar komplett, waren alle verantwortlichen Mitglieder des Screening-Teams gegen eine grundsätzliche Verpflichtung, an Früherkennungsmaßnahmen teilzunehmen. Uns liegt sehr viel daran, die Frauen nach Möglichkeit so gut im Vorfeld zu informieren, dass diese eine informierte Entscheidung für oder gegen die Teilnahme treffen können. Sehr wichtig ist dabei, und das merke ich selber sehr oft in persönlichen Gesprächen mit Frauen, dass diese nicht durch undifferenzierte und reißerische Medienberichte wie etwa in Frontal und Focus, verunsichert werden. Ein Problem bei der kontroversen Diskussion im Screening - wie überhaupt im Gesundheitswesen - ist es, dass es häufig verdeckt um Gruppeninteressen geht, und gar nicht um die Frauen. Dabei möchte ich aber auch klarstellen, dass es sehr wohl sachlich gute kritische Kommentare gibt. Diese haben aber immer das Ziel, aufzuklären,und nicht zu verunsichern. Diese Kommentare nehmen wir auch gerne in unsere Aufklärungsveranstaltungen mit auf und diskutieren über die unterschiedlichen Aspekte mit den Frauen.