piwik no script img

KommentarÖffnen lernen

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Europa hat sich gegen den Ansturm afrikanischer Flüchtlinge erfolgreich abgeschottet. Das ist die größte Menschenrechts-Verletzung der EU in der Gegenwart.

Dominic Johnson ist Afrika-Experte der taz und Redakteur im Auslandsressort

Die Festung steht. Etwa 120.000 Afrikaner versuchen jährlich, illegal nach Europa einzureisen, aber nur rund 14.000 haben dieses Jahr die gefährliche Seereise geschafft. Das sind etwa halb so viele wie im gleichen Zeitraum vergangenen Jahres. Wer durchkommt, wird meist in abgeschottete Hochsicherheitslager gesteckt und wieder deportiert. Um die Masseneinwanderung aus dem armen Nachbarkontinent abzuwehren, hat sich Europa auf den Kanaren, auf Lampedusa und Malta, in den Exklaven Ceuta und Melilla sowie auf Flughäfen mit Direktverbindungen nach Afrika längst ein kleines Guantánamo-System eingerichtet, in dem Migrationsverdächtige verschwinden.

Zehntausende Migranten bleiben in Nordafrika hängen, in den Slums von Casablanca und Algier, in den Tagelöhner-Arbeitsmärkten von Tripolis und Tanger oder einfach irgendwo in der Wüste. Aus der afrikanischen Masseneinwanderung nach Europa ist so eine Masseneinwanderung in den Maghreb geworden. Das wollen weder die Migranten noch ihre Gastländer, und es führt zu alltäglichen Erniedrigungen, rassistischen und polizeilichen Übergriffen.

Dass allein Marokko dieses Jahr schon 80.000 illegale afrikanische Einwanderer aufgegriffen hat, zeigt das Ausmaß dieses Problems. Dabei ist es nur eine Konsequenz der erfolgreichen Abschottung Europas. Die EU hat die Bekämpfung der illegalen Migration exportiert in einen Gürtel von Ländern jenseits des Mittelmeers, die selbst erhebliche soziale und politische Probleme haben und deren junge Generation selbst immer hartnäckiger an die Tore Europas klopft.

Wie lange ist diese Politik noch tragbar? Europäische Regierungen entwerfen zwar Detailpläne für den CO2-Ausstoß des Jahres 2050 und grübeln über das Rentenniveau ihrer Enkelkinder, aber sie verschließen die Augen vor der größten Verletzung der Menschenrechte seitens der EU in der Gegenwart: vor tausenden Leichen, die an unseren Außengrenzen auf hoher See treiben, und zehntausenden Armutsflüchtlingen, die irgendwo abgeladen werden, weil das reiche Europa sie nicht will. Wie man Grenzen dicht macht, weiß Europa offenbar. Jetzt müssen die Europäer lernen, sie wieder zu öffnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • L
    Locuta

    "Wie man die Grenzen dicht macht, weiß Europa offenbar. Jetzt müssen die Europäer lernen, sie wieder zu öffnen."

    Warum, wo steht das geschrieben? Eine sehr einseitige Beschreibung des Zustands! Wollen wir wirklich das Obdachlosen- bzw. Nachtasyl aller Beladenen der Welt sein? Wer um Gottes Willen soll das alles bezahlen? Es gibt kein Menschenrecht auf Sozialhilfe! Diese Leute sollten sich um die Verhältnisse in ihrer Heimat kümmern! Platz genug ist da doch! Und bitte immer bedenken: wenn alle erster Klasse fahren wollen, dann gibt es keine erste Klasse mehr!