Kommentar: Und bewahre uns vor dem Blöden
Volksbegehren für Religionsunterricht an Berliner Schulen nimmt die erste Hürde. Das untermauert den Erfolg der direkten Demokratie - und zeigt, dass da nicht unbedingt etwas gutes bei rauskommen muss.
N un dürfte auch der letzte Ungläubige überzeugt sein. Der Ausbau der Bürgerbeteiligung hat sich als eine der weitreichendsten Reformen der rot-roten Ära entpuppt. Zehntausende BerlinerInnen haben sich mit ihrer Unterschrift beteiligt - für Straßennamen, gegen Parkgebühren oder für den Flughafen Tempelhof. Mit "Pro Reli" hat nun schon die zweite Initiative die Einstiegshürde für ein Volksbegehren auf Landesebene genommen. Politik wird geerdet.
Gleichzeitig räumt "Pro Reli" mit dem Irrglauben auf, direkte Demokratie führe automatisch zu einer besseren Politik. Denn inhaltlich ist das Begehren der Religionsanhänger ein Rückschritt.
Seit Einführung des Faches Ethik können erstmals allen Berliner Schülern die Werte, auf denen unsere Gesellschaft beruht, nahegebracht werden. Die Diskussion über verschiedene religiöse wie atheistische Weltbilder fördert die gegenseitige Toleranz. Der Glaube jedoch bleibt die Privatsache eines jeden Einzelnen. Hier darf der Staat - und damit die Schule - keine Vorbeterrolle übernehmen.
Deshalb ist es schon ein enormes Entgegenkommen, dass Religionsgemeinschaften als Zusatzangebot ihre Weltsicht an Schulen verbreiten dürfen. Wer fordern würde, neben Politik auch die zur jeweiligen Anschauung passenden Fächer Kapitalismus, Sozialismus oder Neoliberalismus einzuführen, der würde ein Schmunzeln ernten. Wer gar den Ersatz der Politiklehrer durch Parteipolitiker fordern würde, der machte sich komplett lächerlich.
Nichts anderes aber will "Pro Reli". Die Initiative fordert religiösen Separatismus. Kinder sollen nur in der Religion geschult werden, die ihnen ihre Eltern ausgesucht haben. Das ist das komplette Gegenteil von Glaubensfreiheit. Davor behüte uns Gott - oder, noch besser, der Wähler beim Volksentscheid.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Desaströse Lage in der Ukraine
Kyjiws Wunschzettel bleibt im dritten Kriegswinter unerfüllt