■ Kommentar: Intellektuell verkümmert
Wie sich der wissenschaftliche Nachwuchs hierzulande den Doktorhut aufzusetzen hat, ist bekannt: in geduckter Haltung. Der angehende Wissenschaftsproletarier trägt dem Professor die Kopien hinterher und hat im übrigen kaum Zeit für seine eigenständige wissenschaftliche Arbeit, mit der er sich in die scientific community hineinpromovieren soll. Berlin spielte lange Jahre eine gewisse Ausnahme von dieser Regel. Hier konnten sich junge Forscher im Gefolge von 68 ein wenig aus der Leibeigenschaft der Ordinarien emanzipieren. Doch dieses hübsche Detail der deutschen Wissenschaftslandschaft verblaßt seit einigen Jahren. Der hiesige Wissenschaftsnachwuchs verkümmert.
Schuld daran trägt das zielgerichtete Dumping bei Gehalt und Arbeitsbedingungen der Doktoranden: Assistentenstellen werden, wenn überhaupt, nur noch als halbe Stellen ausgeschrieben. Fürs halbe Geld, das ist jedem Promovierenden klar, muß voll gearbeitet werden – und zwar für den Professor. Für die eigentliche Doktorarbeit wird in der Freizeit gelesen, geforscht, geschrieben. Das ist ein handfester, wenn auch kaum bemerkter Skandal. In dieser Tretmühle können sich kreative und selbstbewußte Forscher nicht heranbilden.
Die Nachwuchsstipendien „Nafög“ boten in Berlin lange Jahre auch unabhängigeren Köpfen die Chance, neue Methoden und Erkenntnisse zutage zu fördern. Viele waren es nie, die ein Zweijahresstipendium ergatterten. Nach der neuerlichen Kürzung um zwanzig Prozent droht Nafög nun der völlige Garaus. Diese eine Kürzungsmeldung von vielen ist ein Beispiel für den Wahnwitz von politischer Rhetorik und administrativer Realität. Hier die unerträglich propagandistischen Reden über den Wissenschaftsstandort und Blabla; da die schulterzuckende Degradierung von Assistenten zu Wissenschaftssklaven. Von wegen Metropole von Geist und Kultur – Berlin ist ein intellektuelles Entwicklungsgebiet. Mehr nicht. Christian Füller
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