Kommentar: Gefahren im Labor
■ Gen-Datei über Sexualstraftäter soll demnächst Wirklichkeit werden
Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig will noch in dieser Legislaturperiode die gesetzlichen Voraussetzungen für eine zentrale Gen-Datei über Sexualstraftäter schaffen. Neu ist der Gedanke nicht. Seit die Möglichkeit des „genetischen Fingerabdrucks“ besteht, setzen Kriminalisten auf dessen Einsatz in der deutschen Kriminaltechnik. Sie verweisen dabei gern auf die USA und Großbritannien, wo die DNA-Analyse seit Jahren eingesetzt wird.
Auf den ersten Blick hat der Gedanke etwas Bestechendes. Gegen die Überlegung, Sexualtäter anhand sichergestellter Blut- oder Spermaspuren und der daraus gewonnenen genetischen Daten zweifelsfrei überführen zu können, läßt sich schwerlich etwas einwenden. Mit der Zeit ließen sich so die Erbmerkmale aller bekanntgewordenen Sexualtäter speichern und für die polizeiliche Fahndung nach Vergewaltigern und Kindermißbrauchern abrufen. Aufwendige Aktionen mit einer Unzahl Verdächtiger fielen weg. Die Beamten könnten sich sogleich auf die Ergreifung des einzig möglichen Täters konzentrieren. Mit dessen Festnahme wäre die Schuldfrage geklärt, eine aufwendige Beweisführung überflüssig. Die bisherigen Fahndungsprobleme träten künftig nur bei Ersttätern auf, über die noch keine Informationen vorlägen.
Die Problematik des Vorhabens tritt an anderer Stelle zutage. Strafprozesse, bei denen die DNA-Analyse als Beweismittel zugelassen war, haben das in der Vergangenheit mehrfach gezeigt: Wird bei der Laboranalyse nicht in allen Stufen sauber gearbeitet, ist eine Verfälschung des Genmaterials, seine fehlerhafte Auswertung oder gar die Verwechslung von Ausgangsproben ein nicht geringes Risiko. Mit fatalen Folgen für die Betroffenen.
Zum zweiten, dies lehrt die polizeiliche Praxis, wird es bei der Gen-Datei für Sexualstraftäter nicht bleiben. Eine solche Prognose hat mit Orwellschem Verfolgungswahn nichts zu tun. Die Einführung ausufernder Gen-Dateien und Gen-Banken über alle Menschen sind eher über den medizinischen Weg zu befürchten als über den kriminalistischen. Gleichwohl sind aber auch hier weitere Anwendungsmöglichkeiten im Bereich der Kapitalverbrechen vorstellbar. Mit zunehmendem Einsatz der Methode aber steigt auch die Gefahr in den Laboren. Der Aufbau einer Gen-Datei sollte also gründlich diskutiert werden. Vor der überstürzten Einrichtung ist zu warnen. Otto Diederichs
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