Kommentar: Keiner versteht uns
■ Die Grünen wollen fünf Mark Spritpreis: Sachlich richtig, politisch falsch
Wenn Politiker in der Klemme sind, behaupten sie gern, ihr Anliegen sei in der Öffentlichkeit nicht richtig verstanden worden. In der Regel ein wenig originelles Manöver, um politische Fehler als PR- Problem zu etikettieren. Doch bei den Grünen stimmt der Satz ausnahmsweise: Keiner versteht sie. Ihre Forderung, den Spritpreis deutlich zu erhöhen – und die Besteuerung der Arbeit zu senken –, ist sachlich richtig, präzise ausgearbeitet und begründet. Trotzdem purzeln seitdem ihre Umfrageergebnisse in den Keller. Der CDU, die mit einer lästigen Kandidatendebatte und dem siegesgewissen Schröder zu kämpfen hat, beschert die grüne Kampfparole „Fünf Mark pro Liter Benzin“ die erfreuliche Aussicht, doch noch den lange ersehnten Lagerwahlkampf inszenieren zu können. Wir haben aber recht, mögen die Grünen sagen. Aber recht haben nutzt in diesem Fall nichts.
Niederschmetternd für grüne Strategen ist gar nicht einmal, daß nur 13 Prozent die „Fünf Mark“-Parole unterstützen. Das, könnte man sagen, ist halt so: Wer Verzicht und eine ökologische Wende will, kann auf allseitiges freundliches Kopfnicken kaum rechnen (auch wenn es nicht schlau ist, ein halbes Jahr vor den Wahlen mit der Tür ins Haus zu fallen). Verheerend ist hingegen, daß die Losung auch im eigenen Lager nicht ankommt: Mehr als ein Drittel der grünen Anhänger lehnen „Fünf Mark“ ab. Die grüne Losung funktioniert somit in keiner politischen Logik. Auch die eigenen Klientel würdigt den Benzinbeschluß nicht als Signal, daß man sich tapfer gegen den Automann Schröder wehren will. Dafür wächst die Furcht, Rot- Grün würde in Bonn zum Dauerzwist. Die Grünen laufen Gefahr, wieder auf einem Platz zu landen, den sie mühsam verlassen hatten: als verblasene Idealisten. Damit drohen sie nicht nicht nur der schwächelnden Koalition auf die Beine zu helfen – auch Schröder nutzt die Chance, um jovial kundzutun, daß derlei utopischer Kinderkram mit ihm nicht zu machen ist.
Fünf Mark Spritpreis in zehn Jahren zu fordern ist ein taktischer Fehler. Denn die Wähler interessiert, was jetzt geschehen soll – nicht, was 2008 an deutschen Tankstellen sein wird. Zurück können die Grünen nur um den Preis, als Opportunisten zu gelten. So müssen sie differenzieren, umständlich erklären, um Hintzes Angstkampagne zu dämpfen. Aber in welchem Wahlkampf hat man je auf Differenzierungen gehört? Stefan Reinecke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen