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KommentarWahlkampf macht dumm

■ Die "Affäre Trittin": oder die Grünen auf Selbstzerstörungskurs

Ungeheuerliches ist geschehen. Einen „Skandal“ entdeckt Guido Westerwelle, eine „Schande für die deutsche Politik“ Edmund Stoiber. Auch grüne Parteifreunde blasen in das gleiche Horn: „radikale Pöbeleien“ hat Manuel Kiper gehört, „Unanständiges“ der rechte Flügelmann Oswald Metzger. Und der große Vorsitzende Fischer ging demonstrativ auf Distanz zum Grünen-Sprecher.

Was ist passiert? Hat Trittin zum bewaffneten Kampf aufgerufen? Will er zehn Mark pro Liter Benzin? Kinderschänder ins Jugendamt? Nichts dergleichen. Trittin hat eine banale Wahrheit ausgesprochen. Wer am Jahrestag des SS- Massakers von Lidice ein öffentliches Gelöbnis veranstaltet, stellt die „Bundeswehr selbst in die Tradition der Wehrmacht“. Die Formulierung mag ein wenig zu spitz sein – an der Tatsache ändert das nichts. Weil das Berliner Gelöbnis am 13. August nicht durchsetzbar war, mußte Rühe ein neues Datum finden. Der 10. Juni macht einen ausreichend unscheinbaren Eindruck. Pech für Rühe, daß sich an diesem Tag Lidice jährte. Dieser Fauxpas zeigt die Fährnisse, die die deutsche Militärgeschichte und der Versuch, die Bundeswehr als ganz normale Armee zu etablieren, mit sich bringen. Das hat Trittin auf den Punkt gebracht; sonderlich radikal ist dies nicht. Bisher galt es als linksliberaler Common sense, der Bundeswehr ihre mißratene Traditionspflege unter die Nase zu reiben. Roeder in der Bundeswehrhochschule, die Kasernen, die nach Nazigenerälen benannt werden – alles vergessen?

Bemerkenswert ist die hysterische Reaktion der Grünen. Anstatt Trittin zu verteidigen, scheinen ihn die Realos der konservativen Propaganda opfern zu wollen. So zieht die Partei die falsche Lehre aus dem PR-Desaster von Magdeburg. Damals faßte die Partei zwei politisch falsche Beschlüsse, die sie mühselig revidierte. Nun ist die Lage vollkommen anders: Die Grünen gelten als bundeswehrkritische Partei, auch deshalb werden sie gewählt. Die „Affäre Trittin“ ist eine Tragikomödie: Aus Angst, ihnen könnte Magdeburg noch einmal passieren, produzieren die Grünen „Magdeburg zwei“ selbst.

Also alles nur Wahlkampfgetöse? Nicht ganz. Die Affäre ist ein böses Zeichen, welche Rolle die Grünen als Regierungspartei spielen könnte. Die Partei ist auf dem Weg, ein würdiger Nachfolger der FDP zu werden: als Umfaller. Stefan Reinecke

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