Kommentar: Schröders Maskottchen
■ SPD-Kanzlerkandidat holt einen Unternehmer ins Schattenkabinett
Hat Gerhard Schröder einen Coup gelandet? Der SPD-Kanzlerkandidat macht mit Jost Stollmann einen Computermanager zum Wirtschaftsminister seines Schattenkabinetts, und schon rauscht es im Blätterwald: Ein Unternehmer! In die Politik! Erst 43 Jahre alt! Und nicht mal das SPD- Programm gelesen!
Wahnsinn! Revolution!
Jetzt erklärt Stollmann im Stern auch noch, er hätte sich eine Mitarbeit im Kabinett von Helmut Kohl vorstellen können – wenn der Bundeskanzler ihn denn gefragt hätte. Stollmann – ein Mann, der keine Parteien, sondern nur den Wechsel kennt?
Man sollte die Kirche im Dorf lassen: Stollmann ist jung, er ist erfolgreich, er ist Multimillionär. Aber was heißt das schon? Stollmann ist ein interessanter Typ, er kann gut reden und seine Mitarbeiter motivieren. Na und? In den vergangenen sechs Monaten, nachdem er aus seiner Firma ausgeschieden war, hat er Bücher gelesen, die er schon immer mal lesen wollte, heißt es. Reicht das heutzutage schon aus, um die deutsche Sozialdemokratie zu erschüttern?
Stollmann kommt aus einer innovativen Branche. Er ist Pragmatiker, er will die Ärmel hochkrempeln. Er sagt Sätze, die nach Tony Blair klingen: „Ich kann das Gejammere um den Standort Deutschland nicht mehr hören. Unternehmer sind dazu da, Herausforderungen anzunehmen.“ Alles nicht schlecht – aber ist Stollmann deswegen schon der personifizierte Wechsel? Verdient Schröder für diese Entscheidung drei Punkte für Kühnheit?
Kaum. Dafür muß man nicht einmal die Binsenweisheit ins Feld führen, daß ein guter Unternehmer noch lange kein guter Politiker ist. Man kann es viel schlichter formulieren: Vom künftigen Bundeskanzler, der ständig von Wechsel und Modernisierung redet, kann man doch wohl erwarten, daß er eine überraschende Personalentscheidung fällt, eine, die nicht gleich nach SPD und Parteifunktionär riecht.
Viel mehr will Schröder fürs erste auch gar nicht. In den Wahlkampf wird sein Kandidat nicht eingreifen, er bleibt bis September zu Hause. Bis dahin soll der Unternehmer Stollmann nur Schröders Image transportieren. Er soll Schröder so aussehen lassen, wie Schröder sich selbst sieht: Ich versteh' was von Wirtschaft! Ich bin ein Modernisierer! Stollmann soll dem SPD-Kanzlerkandidaten Glück bringen. Er ist sein Maskottchen. Jens König
Bericht Seite 5
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