Kommentar: Jeder kocht sein Süppchen
■ Die Armutsdiskussion in Deutschland ist festgefahren
Die Armen sind doppelt arm dran: Sie werden nicht nur materiell ausgegrenzt, sondern auch politisch entmündigt. Es redet zwar kaum einer mit den Armen, aber viele maßen sich an, als ihre Fürsprecher aufzutreten. Kaum eine Bevölkerungsgruppe wird politisch so funktionalisiert wie Sozialhilfeempfänger. Dies zeigt sich im Wahlkampf. Eine scheinbar hitzige „Armutsdiskussion“ flammt auf, jegliche reale Veränderung aber wird blockiert.
Regierung, Opposition und Wohlfahrtsverbände streiten darum, wer denn nun „arm“ sei (Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, Kinderreiche?). Aber die Politik hat es nicht mal geschafft, die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Sozialhilfeempfänger zu verbessern. Vor drei Monaten ließ der SPD-dominierte Bundesrat einen Entwurf von Minister Seehofer durchfallen, nachdem jobbende Sozialhilfeempfänger künftig mehr von ihrem Hinzuverdienst hätten behalten können. Die neue Regelung wäre teuer gekommen. Denn wenn Sozialhilfeempfänger mehr von ihrem Verdienst behalten dürfen, dann haben auch mehr „arbeitende Arme“ plötzlich Anspruch auf Sozialhilfe. 230 Millionen Mark hätte diese Form von „Kombilohn“ die Gemeinden gekostet. Der Entwurf wurde leise gekippt. Wenn es jedoch kaum sogenannte Arbeitsanreize durch mehr Geld für Arme geben wird, dann ist zu befürchten, daß auch in der kommenden Legislaturperiode vor allem Kürzungen auf dem Programm stehen. Hier haben die Konservativen ein Problem: Kürzungen, die am Ende doch nur auf kinderreiche Familien zurückfallen, entfachen jene Diskussion über „Kinderarmut“, die von Familienministerin Nolte so gefürchtet wird.
Eine Konsequenz aus diesem Dilemma wurde im Bericht der bayrisch-sächsischen Zukunftskommission erwogen: Lediglich Erwerbsfähige (also gesunde Erwachsene) könnten automatisch eine geringere Arbeitslosen- und Sozialhilfe bekommen. In einem solchen System würde der Kampf um Billigjobs noch heftiger entbrennen. Andere Länder machen das vor. Es gibt Anzeichen, daß sich auch hierzulande die „Armutsdiskussion“ so entwickelt. Gut möglich, daß als erster Schritt künftig Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengefaßt werden. Was wirklich passiert in Sachen Armut, Arbeit und Solidarität, zeigt sich jedenfalls nicht jetzt, sondern erst nach der Wahl. Barbara Dribbusch
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