Kommentar: Redefreiheit ist das Leben
■ Erst Protest hat der Diplomatie im Fall Rushdie Beine gemacht
Seiner Fatwa gegen Rushdie ließ der Ajatollah Chomeini die Worte folgen: „Ein Pfeil wurde abgeschossen und ist nun auf dem Weg in sein Ziel.“ Erst fast zehn Jahre später, Chomeini weilt längst nicht mehr unter den Lebenden, läßt sich sagen, daß Rushdie dem tödlichen Pfeil wahrscheinlich entkommen ist. Bevor Rushdie jetzt zu dem Schluß kam, die jüngste Vereinbarung zwischen iranischer und britischer Regierung bedeute für ihn „Freiheit“, hat er offenbar Garantien erhalten: daß nicht nur die iranische Regierung, sondern auch alle religiösen Hardliner auf Mordanschläge gegen ihn verzichten.
Der Text der iranischen Erklärungen allerdings gibt diese Interpretation kaum her. Dort distanziert sich die Regierung lediglich von Mordkommandos und ausgesetzter Belohnung. Die Fatwa selbst hingegen gilt aus Gründen der Religionsdogmatik als unaufhebbar.
Dem Tag, an dem Rushdie endlich sein Leben im Versteck aufgeben kann, sind jahrelange Verhandlungen vorausgegangen. Den Erfolg können sich Blair und der iranische Reformpräsident Chatami zuschreiben. Letzterer hat seine Position im Land offenbar so stärken können, daß sogar Rushdie, der allen Grund hat, mißtrauisch zu sein, sagt: „Es scheint keine Opposition dagegen im Iran zu geben.“
Die westeuropäische Diplomatie war im Fall Rushdie längst nicht immer so eifrig. Nach der Fatwa distanzierten sich Margaret Thatcher und ihr Außenminister Geoffrey Howe von Rushdies „Satanischen Versen“: Sie seien beleidigend, für die Muslime wie für Großbritannien. Noch 1993 wurde sein Versuch, durch Europa zu reisen und laut zu protestieren, mit Unmut quittiert. Der „stillen Diplomatie“, die London und Bonn praktizierten, fehlte lange Jahre der Druck. Den schufen erst Kampagnen, die Rushdie selber zusammen mit regierungsunabhängigen Organisationen startete. Schriftsteller aus aller Welt unterstützten Rushdie. Kanada stornierte einen Kredit für den Iran und Norwegen eine Ölbestellung, einige deutsche Bundesländer kündigten an, das geplante Kulturabkommen mit Iran nicht zu unterschreiben.
Rushdie selbst hat immer auf Öffentlichkeit gesetzt, nicht darauf, daß die Fatwa irgendwann einfach vergessen werde. „Redefreiheit ist das Leben“, hat er geschrieben. Auf ihr hat er immer bestanden – und damit schlußendlich Erfolg gehabt. Michael Rediske
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