Kommentar: Entsorgungs-Gallery
■ Kein Geld für Mauer-Dokumentationszentrum
Neun Jahre nach dem Fall der Mauer finden sich im Stadtgrundriß kaum noch Spuren des einstigen Grenzwalls. Wohl schlängelt sich eine Linie aus Kupfer, Farbe und Kopfsteinpflaster quer durch die Stadt, um den Verlauf der Mauer nachzuzeichnen. Und auch der Mythos spektakulärer Fluchten und wilder Schießereien erfährt im Haus am Checkpoint Charlie weiter seine Inszenierung. Doch aus dem Bewußtsein drohen die Mauer und ihr Fall 1989, die geschichtliche Dimension und Dokumentation zu verschwinden. So schnell wie der Betonriegel damals abgerissen wurde, verfliegt nun die Erinnerung an ihn.
Mit der Entscheidung, dem neuen Mauerdenkmal an der Bernauer Straße kein Informations- und Dokumentationszentrum beiseite zu stellen, wird dieser Prozeß der Entsorgung noch beschleunigt. Der Mauerstreifen bleibt eine Terra incognita, ihre politische Funktion im Kalten Krieg unterbelichtet, ihre westliche Seite ein buntes Gemisch aus Graffiti, Kreuzen für tote Flüchtlinge und Grenzübergangsstellen.
Welche Dimension der antifaschistische Schutzwall auf der östlichen Stadtseite spielte, wo die Denkmäler für erschossene Grepos standen, welche städtebaulichen und sozialen Funktionen damit verbunden waren, wird versickern. Ein Symposion in der Akademie der Künste vor einigen Jahren hat die Tür einen Spaltbreit aufgemacht für solche Fragen. Man hatte sich gewünscht, sie würde nun weit aufgestoßen. Aber in Geschichtsentsorgung sind wir Deutschen bekanntlich Weltmeister.
Die Rolle der Finanzsenatorin in dem Ränkespiel mit dem Bund um die (Nicht-)Finanzierung zeugt dabei von Verantwortungslosigkeit. Statt der Dokumentation auf die Beine zu helfen und der Kulturverwaltung die Anschubmittel bereitzustellen, mauert Fugmann- Heesing. Natürlich ist hier auch der Bund gefragt, aber wenn nicht der erste Schritt bald getan wird, wachsen zu viele Gräser und Büroblöcke über die Grenzgeschichte. Und wie ein Witz mutet es dabei an, daß die peinliche Stilisierung aus Angst und Schrecken des Todesstreifens im Haus am Checkpoint Charlie noch immer mit Fördergeldern rechnen darf. Dessen Chef Hildebrandt mit seiner Asservatenkammer des Kalten Krieges hinter der fotogenen Fassade kann sich freuen aufs Geschäft. Schülergruppen, Tante Erna aus Suhl sowie Onkel Heine aus Peine/ Salzgitter finden die wahre Story der Mauer geil. Aber das reicht nicht. Rolf Lautenschläger
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