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KommentarUnd morgen?

■ Zum Prozeß gegen einen Verkäufer der „Strassenzeitung“

Man könnte jetzt, politisch korrekt, etwas schreiben über die Privatisierung und damit die Säuberung des öffentlichen Raums, über das SSS-Konzept der BahnAG (Service, Sicherheit, Sauberkeit) oder den Versuch, die Bahnhöfe zu „Visitenkarten“ der Stadt zu machen, zu Kaufhäusern mit Gleisanschluß und so weiter und so fort. Doch was hat das, wird sich Konrad G. fragen, mit mir zu tun?

Auf den ersten Blick wenig. Bislang galt der Säuberungswahn der BahnAG und der BVG vor allem Obdachlosen und Junkies. Die zahlreichen Verkäufer der Obdachlosenzeitungen blieben zumeist unbehelligt. Kein Wunder eigentlich, bestand doch die einzige Belästigung der Fahrgäste zumeist darin, mit ihrem schlechten Gewissen konfrontiert zu werden.

Daß nun die BahnAG einem dieser Verkäufer den Prozeß macht, macht wütend. Und es macht hilflos. Wütend, weil ein derartiger Mißgriff in die Verhältnismäßigkeit der Mittel die Frage aufwirft, ob nicht eher der Bahn der Prozeß gemacht werden müßte, und zwar wegen anhaltender Kundenbelästigung durch Preiserhöhungen und Verspätungen. Hilflos, weil es hier einen treffen soll, der eben nicht in den Bahnhofshallen rumhängt und Fahrgäste belästigt, sondern durch Eigeninitiative genau diesem Los entkommen will. Warum, so könnte man fragen, zeigt die BVG nicht jeden x-beliebigen Zug mit Hertha-Fans an? Eine nachhaltigere Belästigung von Fahrgästen kann man sich gar nicht vorstellen.

Tja, warum. Konrad G. wird in der nächsten Strassenzeitung schreiben, daß er als von Obdachlosigkeit Betroffener auf den Verkauf der Zeitung angewiesen ist. Die Bahn wird es nicht scheren, obwohl auch sie, als potentiell von Pleite Betroffene, auf die Gunst ihrer Kunden angewiesen ist. Statt dessen werden die Verantwortlichen weiter an SSS-Konzepten feilen und munter Anzeigen schreiben gegen die, die man zum Problem macht, weil sie ein Problem haben. Das waren zuerst die Junkies, jetzt sind es die Zeitungsverkäufer. Und morgen?

Ach ja, morgen, fast hätte man es vergessen. Morgen, das heißt in Zukunft, werden wir ja Metropole. Und übermorgen beginnt der Prozeß gegen Konrad. Na denn! Uwe Rada

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