Kommentar: Richtige Strategie
■ Die Polizei reagiert maßvoll auf militante Proteste der PKK-Anhänger
Drei tote Kurden, Hunderte von verletzten Demonstranten und Polizisten, das ist die Bilanz einer Woche, in der PKK-Anhänger aus einer Mischung aus Fanatismus und Verzweiflung auf die Entführung ihres Führers Abdullah Öcalan reagierten. Prompt wird der Ruf nach Strafverschärfungen laut, zeichnen manche Medien das Bild einer zur Hilflosigkeit verdammten Gesellschaft, die vor dem „Kurden-Terror“ in die Knie geht.
Trotz solcher Aufgeregtheiten bleibt festzuhalten, daß die Polizei bislang maßvoll auf die Aktionen der PKK reagiert hat. Daß die Berliner Beamten im Fall des israelischen Konsulats nicht rechtzeitig in angemessener Zahl zur Stelle waren, ändert nichts an der Richtigkeit der bisherigen Strategie. Die Folgen der beabsichtigten Konsulatsbesetzung haben sich die PKK-Anhänger zu einem gut Teil selbst zuzuschreiben. Sie erlagen dem Irrtum, die Deeskalationsstrategie der deutschen Polizei würde auch in der Einrichtung eines Staates gelten, dessen Bürger bis heute weltweit bedroht sind.
Auch der zukünftige Umgang der Polizei mit PKK-Demonstrationen muß flexibel aus der jeweiligen Lage beurteilt werden. In Hamburg wurde gestern, auf ausdrückliches Anraten der Polizeiführung, eine Demonstration von PKK-Anhängern erlaubt. Jetzt mit Verboten zu reagieren würde deren verzweifelte Stimmung weiter verschärfen. Die Ventile, die eine freie Gesellschaft hat – und dazu gehören Demonstrationen –, sollten nicht eilfertig verschlossen werden.
Übersehen wird in der jetzigen Debatte auch, daß die Polizeiführungen schon seit längerem das PKK-Verbot auf ihre Art und Weise interpretieren. Insbesondere in Berlin, wo 50.000 Kurden leben, drückten Beamte auf Demonstrationen öfters beide Augen zu, wenn PKK-Fahnen mitgeführt wurden. Der Ruf, Gesetzesverstöße prompt zu ahnden, wird immer wieder schnell erhoben. Gerade aber im Verzicht auf einen sofortigen staatlichen Einsatz kann die Stärke des Rechtsstaates liegen. Die Strafverfolgung, wie das manche jetzt mangels martialisch zupackender Polizisten suggerieren, hört damit nicht auf. Wie schon in der Vergangenheit können jetzt bei militanten PKK-Demonstrationen die Täter auch im nachhinein ermittelt werden. Flexibel auf explosive Situationen zu reagieren bedeutet eben noch lange keine „Kapitulation des Rechtsstaates“. Severin Weiland
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