Kommentar: Glos goes Gysi
■ Wenn es um den Reichstag geht, ist alles andere egal
Das Verhältnis zwischen der CSU und der PDS läßt sich am besten mit einem nicht ganz bibelfesten Vergleich beschreiben. Die Schwarzen aus München fürchten die Roten aus Berlin wie der Teufel das Weihwasser. Wo immer die atheistische Nachfolgepartei der SED auftritt, werden Kreuze geschlagen. Und selbst säkularisierten CSUlern sind die Sozialisten nicht geheuer, hängen diese doch als Bannzeichen die roten Socken raus.
Geht es um das Erbe deutscher Vergangenheit, gilt das alles nicht mehr. Denn seit der Ältestenrat des Bundestages den Reichstag zum „Plenarbereich“ umgetauft hat, hegen die bayerischen Traditionalisten plötzlich gänzlich unchristliche Gedanken. CSU-Landesgruppenchef Micheal Glos, sonst strammer Rechter und sonntäglicher Kirchgänger, plant nicht nur ein Bündnis mit Reichstags-Fan Gerhard Schröder. Viel schärfer noch. Glos hat nichts mehr gegen die PDS und deren Bösewicht Gregor Gysi. Mit ihm will er gemeinsam in vorderster Reihe gegen die Umbenennung marschieren. Die erste schwarz-tiefrote Koalition ist damit perfekt.
Daß es so hat kommen müssen, ist klar. Die beiden Heimatvereine in der deutschen Politik zieht mehr an, als sie sich zugestanden haben. Traditionspflege steht hoch im Kurs, große Ideale werden bemüht, und beide beschwören nicht zuletzt die Geister der Vergangenheit. Daß da Liebe im Verzug ist, läßt sich leicht ausrechnen. Die bibelfeste Sahra Wagenknecht hat der Partei vorgelebt, daß Grenzen überschritten werden können, geht es ums Ganze.
Noch ein paar unpopuläre Entscheidungen des Ältestenrates – etwa die Umbenennung des Kanzleramtes oder die Revision des Umzugstermins in die Hauptstadt – die ungleiche Ehe wäre perfekt. Aber die Karten in der Koalitionslandschaft werden sowieso neu gemischt. Nicht mehr Parteiprogramme entscheiden, das sind Relikte vergangener Zeiten. Bestes Beispiel ist die rot-grüne Koalition, die täglich vergißt, was sie gestern noch gesagt hat. Was zählt,sind Bündnisse auf Zeit und für spezifische Interessen. Man rauft sich zusammen, Teufel und Weihwasser werden kompatibel, und endlich haben wir italienische Verhältnisse. Urlaub in der Toskana, das nebenbei bemerkt, wäre auch nicht mehr so teuer. Rolf Lautenschläger
Seite 5
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen