Kommentar: Laßt uns Samba tanzen ...
■ Neu: Krieg und Spaß – wir haben auch das gelernt
Im neuen Reichstag wird erstmals der Bundespräsident gewählt, die Republik feiert ihren 50. Geburtstag, und draußen tanzen 350.000 Berliner beschwingt ihren Karneval der Kulturen. Ein erstklassiger Auftritt hätte das sein können. Eine Selbstdarstellung, die den letzten an Deutschland zweifelnden Kommentator zu tiefgründigen Interpretationen hätte hinreißen können: das neue Deutschland, die offene Republik, diese mediterrane Leichtigkeit .... na, Sie wissen schon. Hätte, hätte – wären da nicht die Bomben auf Belgrad und Deutschland eine kriegführende Nation.
Ja doch, Deutschland wird atemberaubend normal – zu einer normalen kriegführenden Republik der westlichen Wertegemeinschaft. Draußen sterben die Leut', und hier tanzt der Bär. Was die Bürger der USA, Frankreichs und Großbritanniens seit Jahrzehnten praktizieren, wir Deutschen können das nun auch. Aus und vorbei ist es auch mit diesem deutschen Sonderweg.
Vor gut acht Jahren, in den Tagen des Golfkrieges, war noch alles anders. Während in den USA auf T-Shirts zur fröhlichen Bombardierung Bagdads aufgefordert wurde, herrschte hier der Ausnahmezustand. Kriegsunlustig waren die Deutschen, und die Angst vor dem Weltenbrand trieb die Menschen um. Mit solch einer Moral, soviel war klar, war kein Krieg zu gewinnen. Also wurden die Bürger abgestraft, in den gefühlsmäßigen Belagerungszustand geschickt. Im Rheinland (!) wurden die Rosenmontagsumzüge storniert. Aus Sicherheitsgründen – so wurde verlautbart. Wer wußte schließlich, was die Fünfte Kolonne Saddams in Deutschland so alles im Schilde führte?
Heute ist Deutschland, anders als am Golf, ein richtig echter Kriegsteilnehmer – und kein Terrorist aus dem serbischen Reich des Bösen bedroht uns. Was ist geschehen? Ist der Serbe weniger gut oder böse als der Araber? Mitnichten. Aber anders als vor acht Jahren spielen die Deutschen heute brav mit. Verletzung der Menschenrechte auf dem Balkan? Voilá – Nato, go for it. Wer so viel Lernbereitschaft zeigt, der wird belohnt und darf ruhig schlafen. Keine Drohszenarien von finsteren serbischen Stoßtrupps, die bundesdeutsche Fußgängerzonen in Schutt und Asche legen, werden kolportiert. Von nun an ist Spaß auch in Kriegszeiten erlaubt. In Berlin und anderswo. Die Republik ist gerüstet. Eberhard Seidel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen