Kommentar: Jenseits von Rom
■ Ein Ausstieg aus der Beratung wird der Kirche schaden
Wenn es stimmt, daß jede Krise auch eine Chance bietet, dann hat die katholische Kirche in Deutschland eine Chance nach der anderen verpaßt. Denn seit Jahrzehnten kommt die Volkskirche römisch-katholischen Ursprungs aus ihrer Krise nicht heraus. Immer weniger Menschen können mit den offiziellen Vertretern von christlicher Religion und Glauben etwas anfangen. Die Menschen bemängeln vor allem Weltfremdheit, Rückwärtsgewandtheit, gnadenlose Prinzipientreue. Ausgerechnet das könnte sich nun ändern – allerdings anders, als es die Oberhirten wünschen.
Denn der Streit um die Abtreibung zeigt eines sehr deutlich: Die katholische Hierarchie entspricht den negativen Vorurteilen ziemlich genau. Ausgerechnet die Beratungsstellen für Schwangere in Not sollen auf Geheiß Roms geschlossen werden. Weil sich die Fundamentalisten in den Kirchenleitungen an so irdischen Problemen wie der Frage von ungewollten Schwangerschaften und Abtreibungen nicht die Hände schmutzig machen wollen, wird die Beratung der Frauen, sicherlich eine der Nötigsten der kirchlichen Sozialarbeit, als Ausgabe einer „Tötungslizenz“ verunglimpft.
Sollten tatsächlich die deutschen Katholiken die Beratung selbst in die Hand nehmen, könnte das für das Ansehen der Kirche in Deutschland mehr bedeuten als alle Imagekampagnen der letzten Jahre. Man stelle sich vor: Bischöfe, die nicht mehr vor dem Papst kuschen, sondern die Interessen ihrer Gläubigen vertreten – das wäre ein ganz neues Kirchengefühl. Vor allem aber: Laien, die ihre Geschicke außerhalb der Kleruskirche organisieren – für katholische Vorstellungen geradezu eine Revolution. Trotz der großen Probleme könnte das etwas auslösen, was man bisher in Deutschland nur aus den bestaunten Basisgemeinden in Lateinamerika oderAfrika kennt: eine Kirche jenseits der römischen Hierarchie und die Einsicht, daß die Kirche vor allem aus Gläubigen und nicht zuerst aus Klerikern besteht. Den KatholikInnen brächte eine solche Entwicklung in Deutschland möglicherweise einiges an Respekt und Vertrauen zurück, Vertrauen, das derzeit oft mit hilflosem Verweis auf römische Vorschriften zerschlagen wird. Und die römische Amtskirche sägt weiter kräftig an dem dünnen Ast, auf dem sie inzwischen in Deutschland noch sitzt. Bernhard Pötter
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