Kommentar: Jeden Tag ein Plebiszit
■ CDU sammelt schon wieder Unterschriften
Das neue Zauberwort der Christdemokraten heißt „Unterschriftenaktion“. Seit Roland Koch in Hessen mit der Kampagne gegen den Doppelpaß die Landtagswahl gewann und das Selbstbewußtsein der Union wiederherstellte, gilt das Mittel plötzlich als Allzweckwaffe. Ausgerechnet eine Partei, die derlei basisdemokratische Verfahren einst mit größtem Mißtrauen beäugte, ist bereits nach kurzem Genuß der süßen Einstiegsdroge ganz und gar süchtig geworden.
Schon Clausewitz hat der Politik freilich ins Stammbuch geschrieben, sie müsse die Mittel kennen, die sie gebraucht. Was der alte Preuße auf den Krieg bezog, gilt für das Plebiszit gleichermaßen. Die CDU aber weiß nur, so scheint es, daß Unterschriften glücklich machen. Sonst wäre sie gewiß nicht auf den kuriosen Gedanken verfallen, ihr Wahlprogramm von den BerlinerInnen abzeichnen zu lassen.
Kurios ist die Idee, die Unterschriften nicht für eine einzelne Forderung, sondern gleich für das ganze Programm zu sammeln. Dafür gibt es normalerweise Wahlen. Und wer vorher wissen will, wie viele WählerInnen die CDU und ihr Programm goutieren, der darf getrost in die Umfragen schauen. Außerdem ist das Sammeln von Unterschriften das probate Mittel der Opposition, namentlich der außerparlamentarischen. Daß eine Regierungspartei auf plebiszitärem Wege um Zustimmung wirbt, ist in Demokratien gemeinhin nicht üblich.
Doch genau das paßt zu der Rolle, in der sich die CDU in der Berliner Politik gefällt: Sie spielt, zumal in Wahlkampfzeiten, die Rolle einer Opposition innerhalb der Regierung. Unpopuläre Entscheidungen bleiben am kleineren Koalitionspartner hängen, vorzugsweise an der Finanzsenatorin. Auch in der Opposition gegen das schmerzhafte Sparpaket der Bundesregierung sucht sich die CDU zu profilieren. Und die SPD bietet sich, nicht zuletzt wegen ihrer wenig professionellen Wahlkampfstrategie, als williges Opfer geradezu an.
Doch irgendwann nutzt sich jedes Mittel ab. Wenn die CDU weiter suchtartig Unterschriften sammelt, wird der Rausch irgendwann ausbleiben. Ralph Bollmann
Bericht Seite 24
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