Kommentar: Kluge Politik
■ Außenminister Fischer weist der Türkei Wege nach Europa
Bundesaußenminister Joschka Fischer mag recht haben. Es gibt vielleicht keine grüne Außenpolitik. Aber eine andere als die der alten Bundesregierung gibt es allemal. Und was das Verhältnis zur Türkei betrifft, ist seine sogar besser.
Fischers Türkeibesuch könnte der Anfang eines Neubeginns einer schwierigen Beziehung sein. Unmißverständlich stellte er klar, daß die EU eine säkulare Wertegemeinschaft ist, in der für Atheisten, Juden, Christen und Muslime Platz ist. Also auch für die Türkei.
Das war wichtig, weil Ankara Kritik an türkischen Menschenrechtsverstößen bis heute gern mit dem Argument pariert, Deutschland, allen voran Helmut Kohl, wolle die EU in einen „Club von Christen“ verwandeln. Diese Fluchtmöglichkeit hat Fischer der Türkei genommen. Dies um so mehr, als er glaubwürdig bewiesen hat, daß er durchaus ein Herz für Muslime hat. In Bosnien und im Kosovo.
Nicht die Religion, sondern die Menschenrechte werden also künftig eine zentrale Funktion in der Beziehung der Türkei zu Deutschland und der EU bekommen. Unwahrscheinlich, daß dies nationalistischen türkischen Kreisen besser gefällt. Die Verwirrungen rund um die Verschleppung des vermeintlichen PKK-Funktionärs Cevat Soysal haben dies deutlich gemacht. Werten wir ihn als letzten Versuch, die rationale Annäherung durch Aufstachelung nationaler Emotionen zu torpedieren.
Es war souverän von Fischer, auf dieses Störmanöver nicht zu reagieren. Und es war klug, nicht weiter auf die Forderungen kurdischer Vereine einzugehen, die einen Abbruch seiner Mission forderten.
Wer die Gemütslage in der Türkei kennt, weiß: Fischers Besuch beim kurdennahen Menschenrechtsverein IHD war keine Alibiveranstaltung für die grüne Seele zu Hause, sondern eine klare Botschaft an Ankara. Und sie lautet: Ja, wir wollen euch als Beitrittskandidaten der EU. Ja, wir werden uns für einen offiziellen Kandidatenstatus der Türkei einsetzen. Ja, wir werden auf die Blockadepolitik Griechenlands einwirken. Aber nicht um jeden Preis. Ohne politische Lösung der Kurdenfrage bleibt eine EU-Mitgliedschaft in weiter Ferne.
So lautet die Quintessenz von Fischers Besuch. Bequem ist sie nicht. Denn sie bedeutet nichts anderes als eine kleine Revolution im Lande Atatürks.
Eberhard Seidel
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