Kommentar: Kurzer Prozess
■ Kurdenverfahren darf nicht durchgepeitscht werden
Der Vorsitzende Richter Walter Neuhaus hat keine Lust auf das Verfahren. Dieser Eindruck drängt sich beim großen Kurdenprozess auf, der am Landgericht nun schon in die zweite Woche geht und ursprünglich bis Ende November gehen sollte. Für die Null-Bock-Haltung des Richters spricht die teils genervte, teils dröge Verhandlungsführung der Kammer. Dafür spricht auch das sarkastische Abkanzeln der Fragen der Verteidigung. Darauf deutet aber vor allem die Frage des Richters an die Staatsanwaltschaft hin, ob man nicht die Beweisaufnahme nach Anhörung des ersten Zeugen beenden wolle.
So viel, so schlecht. Aber könnte es auch andere Gründe dafür geben, dass der Richter das Verfahren so schnell wie möglich beenden will? Steht dahinter die Einsicht des Gerichts, dass den vier Kurden bei noch so vielen Zeugen angesichts des Chaos am Tatort kaum jemand wird nachweisen können, sie hätten sich direkt an der Besetzung beteiligt? Ist es bloß die Unlust eines Gerichts in einer Stadt, in der die blutigen Ereignisse am Aschermittwoch schon seit Monaten hin und her diskutiert werden, ohne dass das Geschehen dadurch deutlicher wird? Oder soll da etwa aus politischer Rücksicht etwas vertuscht und die Sache schnell beendet werden, da womöglich die juristischen Ergebnisse den politischen Frieden stören könnten?
Wenn vor allem der letzte Vorwurf nicht als schleichendes Gift einer bösen Vermutung ins politische Leben der Hauptstadt und des Staates eindringen soll, täte das Gericht gut daran, die Sache so gründlich und so nüchtern zu Ende zu bringen, wie es die Bedeutung des Verfahrens verlangt. Ein faires Verfahren haben nicht nur die Kurden verdient, die unter dem Amoklauf der israelischen Sicherheitsbeamten bereits mehr als genug gelitten haben. Auch die Polizisten haben es verdient, dass ihre Bemühungen und ihre Gefährdung nicht durch einen schnellen Prozess rasch ad acta gelegt werden. Und schließlich muss auch die Öffentlichkeit verlangen, dass zumindest die Judikative in der Nachbereitung des Geschehens klug und vorausschauend vorgeht: Schon die Exekutive der Hauptstadt hat in Sachen Kurden zu oft versagt. Philipp Gessler
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