■ Kommentar: Die Feldschlösschen-Affäre Glogowski hat Firmengeschenke angenommen
Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Glogowski versteht die Welt nicht mehr. Was hat er denn schon getan? Niedersächsische Firmen haben ihm Bier und Kaffee für seine Hochzeit gestellt. Ein Freundschaftsdienst sei dies gewesen. Unverdächtig und völlig normal.
Diese Affäre ist eine trübe Mischung aus sozialdemokratischem Provinzialismus und feudaler Attitüde. Glogowski, Chauffeurssohn und rechter SPDler, hat sich wie sein Vorgänger Gerhard Schröder mühsam von ganz unten nach ganz oben gekämpft. Wenn man es erst mal geschafft hat, dorthin zu kommen – dann darf man sich auch was leisten. Ein Aufsteigerirrtum wie bei Bodo Hombach.
Das eigentlich Erstaunliche, ja Realsatirische ist freilich das Piefige dieser Affäre: Bier und Kaffee für die Hochzeitsfeier und als höchstes der Gefühle ein (offenbar erst spät berechneter) Abstecher zu einer „Aida“-Aufführung in Ägypten, als Unterbrechung des Mallorca-Urlaubs. Man mag sich gar nicht recht darüber aufregen, eher schon hat man Mitleid. Von Ferne erinnert dies an das Spießer-Mobiliar in Wandlitz, an kleinbürgerliche Glücksideen ohne Fantasie.
Interessanterweise hat Glogowski ein reines Gewissen – somit ist diese eher kleinteilige Affäre politisch schon wieder auf der Höhe der Zeit. Höchst kryptisch ließ Glogowski gestern verlauten, dass „in Zeiten sich verändernder Rahmenbedingungen sich die Frage stellt, welche Verhaltensmaßstäbe die Gesellschaft im Verhältnis ihrer politischen Repräsentanten zur Wirtschaft einfordern möchte“. Im Klartext: Wenn sich heute jeder sponsern lässt – warum nicht die Politik? So gesehen ist die Bier-und-Kaffee-Affäre die konsequente Umsetzung des Politikverständnisses der neuen Mitte. Wenn Politik, wie Schröder unermüdlich behauptet, vor allem dafür zu sorgen hat, dass die Wirtschaft reibungslos läuft, dann verflüssigen sich alle Grenzen. Wenn Politik und Wirtschaft ohnehin an einem Strang ziehen, warum soll sich der Landesfürst von der heimischen Wirtschaft nicht mal was spendieren lassen?
Das Gratisbier, so Glogowski, war keine Bestechung, sondern ein „Werbeauftritt“ der Firma. Die Hochzeit des Ministerpräsidenten als Event für „Feldschlösschen“-Reklame, als Dienst am Standort Deutschland. Irgendwie ist diese Version noch trostloser. Stefan Reinecke
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