Kommentar: Frauen im Untergrund
■ Christina Rau wird Tunnel
Natürlich war früher alles trauriger. Präsidentengattinnen, wie beispielsweise die tote Mildred Scheel, sammelten Geld für die Krebshilfe. Sie ist bekanntlich an der Krankheit gestorben. Kaum mehr aufregend war der Job von Kanzlerfrau Kiesinger. Die machte nicht mal Werbung für schwäbische Maultaschen. An Marie-Luise Kiesinger, geborene Schneider, erinnert sich heute niemand mehr. Oder wer kennt den Vornamen von First Lady Erhard, Frau Karl Carstens, und was haben die gemacht? Mal ehrlich. Na also.
Heute ist das Leben von Präsidentengattinnen und First Ladies viel schöner – und geschichtsbewusster. Wir kennen die Lieblingsgerichte von Christiane Herzog. Das Halstuch von Doris Schröder frisst sich auf ewig ins kollektive Gedächtnis, ebenso die Automarke, die Lady Di bevorzugte. Christina Rau, die Frau des derzeitigen Bundespräsidenten, der seit Amtsantritt spurlos verschwunden ist, zieht jetzt als Memorie nach.
„Das ist die Frau, nach der der Fern- und Regionalbahntunnel unter dem Tiergarten benannt ist“, wird man später über sie sagen. Oder. „Liebe Fahrgäste“, werden die ICE-Zugbegleiter mitteilen, „in Kürze nähern wir uns durch den Christina-Rau-Tunnel dem Lehrter Bahnhof.“
Dumm gelaufen für die Lady, die in „bergmännischer Tradition“ die Patenschaft im Untergrund übernommen hat, ist nur, dass sie nicht Original bleibt. Verwechseln könnte man die Rau-Gattin schon, denn Hannelore Kohl war ebenfalls trendy: Nach ihr ist bereits die „Hannelore-Röhre“, der zweite Tiergartentunnel, benannt. Vielleicht könnten da Schilder bei den Einfahrten für Klarheit sorgen.
Überhaupt bietet die Hauptstadt jetzt das ideale Terrain für Patenschaften. Wo derart viel gebaut und gebuddelt wird, braucht sich das politische Establishment ganz allgemein keine Gedanken mehr über seine Erinnerung zu machen. Die taz macht jetzt schon ein paar unverwechselbare Vorschläge: Der Tunnel zum Reichstag wird Kiep-Tunnel getauft, der zwischen Neu- und Altbau des Außenministeriums Nicola-Fischer-Tunnel. Und Monika Diepgen, der Landesmutter Berlins, wird ein Mauerflucht-Tunnel gewidmet.
Rolf Lautenschläger
Seite 27
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