Kommentar: Kartell des Schweigens ■ Schäuble verriet wieder nur akribische Details
Ein Gutes haben die vielen CDU-Sondersitzungen wohl auch in den Augen der Christdemokraten. Jede neue Krise lässt die Krisen davor ein Stückchen weiter in die Vergangenheit rücken. An die gestrige Sitzung des Präsidiums knüpften sich kühnere Erwartungen. Gestern hoffte, nein, betete die Partei darum, die Krisenkette möge ein für allemal ein Ende finden – vergebens.
CDU-Chef Schäuble hatte den Seinen am Vorabend Hoffnung gemacht. Nach der Vernehmung der grauen Eminenz Horst Weyrauch hatte die Parteispitze erstmals das Gefühl, das komplette Panorama der Schwarzgeschäfte überschauen zu können. Damit schien sich Schäubles Strategie ausgezahlt zu haben: Statt Helmut Kohl mit juristischen Folterinstrumenten in die Zange zu nehmen, hatten sich die Aufklärer auf seine willigen Helfer konzentriert. Stolz verkündete die Schäuble-Mannschaft gestern, das Kartell des Schweigens sei gebrochen. Die Botschaft war eindeutig: Wir haben gesucht, gefunden und aufgedeckt. Damit ist von uns nicht mehr zu erwarten. Lasst uns also zurückkehren zur Normalität.
Das Kalkül des Parteivorsitzenden kann nicht aufgehen. Am besten noch stehen seine Chancen, in der CDU auf Milde zu stoßen. Auffallend zurückhaltend reagierten die Parteifreunde auf sein jüngstes Geständnis, den Waffenhändler Schreiber ein weiteres Mal getroffen zu haben. Den Christdemokraten steht der Sinn nicht nach einem weiteren Vatermord, dafür ist der Schlag gegen Kohl noch zu frisch in Erinnerung. Wenn Wolfgang Schäuble nicht selbst die Bühne verlässt, wird ihn auch keiner stürzen.
Schäubles Problem ist die Öffentlichkeit. Sie könnte er nur mit Worten gewinnen, die mutiger sind als alles, was er bisher geboten hat. Sein gestriger Auftritt war einmal mehr von notarieller Akribie geprägt. Zur politischen oder gar der moralischen Dimension des Schwarzgeldsystems seiner Partei hat er geschwiegen. Schlimmer noch: Schäuble hält die Aufklärung für weitgehend abgeschlossen, wiederholte gestern den fatalen Satz, die Partei habe das Ende ihrer Möglichkeiten erreicht. Dabei konnte er abermals nur Einzelheiten bieten. Was das System zum System macht, ließ auch der neue Vorsitzende im Dunkeln: die politische Absicht und die Geisteshaltung hinter Kohls Machenschaften.
Patrik Schwarz
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