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Kommentar zur Wahl in VenezuelaNicht das Ende der Geschichte

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Der Chavismus hat das Vertrauen der Mehrheit der VenezolanerInnen verloren. Doch die Opposition bietet auch keine Alternativen.

Der Präsident bekommt ordentlich Gegenwind von der Opposition. Ob sich etwas ändert, ist unklar. Foto: reuters

D as war eine krachende Wahlniederlage der Regierungspartei bei den Parlamentswahlen in Venezuela am Sonntag. Zum ersten Mal seit dem ersten Amtsantritt von Hugo Chávez vor 16 Jahren haben die Protagonisten der „bolivarischen Revolution“ und des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ keine Mehrheit mehr in der Bevölkerung finden können. Unabhängig davon, ob die Opposition nun eine ausreichende Mehrheit hat, um Verfassungsänderungen durchzusetzen und die Absetzung des Präsidenten Nicolás Maduro auf den Weg zu bringen oder nicht – das Ergebnis zeigt in jedem Fall, wie gründlich der Chavismus das Vertrauen der Mehrheit der VenezolanerInnen verloren hat.

Denn es gehört schon eine ganze Menge Frust dazu, um dieser Opposition die Stimme zu geben, die außer ihrer Gegnerschaft zur Regierung und einem – berechtigten – Lamento der schrecklichen Lage des Landes kaum alternative Ideen vorzubringen hat.

Beide Seiten, und das ist ein wichtiger Teil des venezolanischen Trauerspiels, haben für Dialog und Kompromiss nicht viel übrig, für normale demokratische Machtwechsel noch weniger. Wer eine Revolution ausruft, sieht das eigene Herrschaftssystem als vorläufigen Endpunkt einer historischen Entwicklung – und die Opposition als zu bekämpfende Konterrevolution, nicht als Teil der Demokratie. Und die Opposition, die jetzt vom „Anfang vom Ende des Chavismus“ spricht, hat noch nie wirklich akzeptiert, dass der Chavismus von einer Bevölkerungsmehrheit gewählt und eineinhalb Jahrzehnte lang demokratisch bestätigt wurde. Der Putschversuch 2002 sprach da Bände.

Das von Hugo Chávez begonnene linke Projekt hat letztlich nie eine wirklich über die Verteilung der Erdölrenditen hinausgehende Idee entwickelt. Das war kein Sozialismus des 21. Jahrhunderts, nicht einmal ansatzweise. Venezuela braucht eine starke Linke. Eine Erneuerung wird an der Macht nicht möglich sein. Präsident Maduro sollte zurücktreten.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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4 Kommentare

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  • >"Das war kein Sozialismus des

    >21. Jahrhunderts, nicht einmal ansatzweise."

    Seit der Machtübernahme von Hugo Chávez in 1998 wird Venezuela in linken Kreisen als sozialistischer Musterstaat gefeiert. Da die Versorgungsengpässe inzwischen allerdings so gravierend sind, dass ein Scheitern des venezolanischen Experiments außer Frage steht, daher wird dieses Experiment einfach als nicht sozialistisch bezeichnet.

    There is no true Scotsmen here. Is there? https://de.wikipedia.org/wiki/Kein_wahrer_Schotte

  • Eine Erneuerung der Linken wird sehr schwer, befürchte ich. Denn der Chavismo hat es verstanden, einen Alleinvertretungsanspruch für die sozial Schwachen zu inszenieren. Die Linken in Venezuela konnten dem wenig entgegensetzen und haben es nicht geschafft, soziale Alternativen aufzubauen.

     

    Bei aller revolutionären Rhetorik des Chavismo - mehr als ein sozialdemokratisches Reformprojekt der Umverteilung ist es leider nicht! Das Problem war schon zu Lebzeiten von Hugo Chavez, dass sich sehr viel um die Person des "Führers" konzentriert hat. Es ging in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem um Machtspielchen und die Wiederwahl des Präsidenten. Was dabei untergegangen ist, ist eine nachhaltige Agenda, wie man Venezuela auf einen guten Weg bringt - und zwar unabhängig von der gerade regierenden Persönlichkeit. Und sogar die starken sozialen Bewegungen haben oft ihre Autonomie geopfert und sich dem Präsidenten untergeordnet, der ihre Loyalität mit finanziellen Mitteln belohnt hat.

     

    Der Schwenk der Mehrheit der Wähler zur rechten Putschistenopposition bleibt dennoch ein Rätsel für mich. Bei aller Kritik am Chavismo - aber will man wirklich die rechten Diktaturfreunde an die Macht bringen, die sämtliche sozialen und demokratischen Fortschritte des Chavismo, auch wenn diese mitunter nur recht begrenzt bleiben, wieder rückgängig machen werden?

    • @Rudeboy:

      Die linke Revolution in Venezuela musste ja irgendwann von der Realität eingeholt werden. In Venezuela hat man einfach in konzentrierter Form das ewige Problem der linken beobachten können: Weltklasse darin Geld auszugeben und damit sogenannte soziale Wohltaten zu finanzieren, aber vollkommen unfähig sich auch um die Einnahmenseite zu kümmern. Es reicht eben dann doch nicht einfach jeden der Besitz hat zu enteignen und das geraubte Kapital nach unten zu verteilen. Irgendwann ist dieses aufgebraucht und dann steht man vor einem Scherbenhaufen. Venezuela ist ja nicht das 1. Beispiel für das ständige Scheitern linker Politik. Die DDR, der gesamte Ostblock..... Diese Liste ist ja frei fortsetzbar. Irgendwann wird man sich wohl auch links daran gewöhnen müssen, dass es ohne Leistung nicht funktioniert.

  • Was man in der letzten Zeit aus Venezuela hörte, entspricht ziemlich genau dem, was ehemalige DDR-Bürger noch selbst erlebt haben: Eine allgegenwärtige Mangelwirtschaft, sowie Behinderung und Unterdrückung jeglicher Opposition. Und im Gegensatz dazu: Staatsmedien, die hauptsächlich über „begeisternde Erfolge“ berichteten und Misserfolge und Proteste entweder verschwiegen oder, wenn das nicht mehr ging, dem „Westen“ in die Schuhe schoben.

     

    Und noch eine Ähnlichkeit mit der ehemaligen DDR: Die Vertreter der abgewirtschafteten Staatsmacht machen irgendwelche „Konterrevolutionäre“, und nicht das eigene Unvermögen für ihre Niederlage verantwortlich. Na super! Als ob das Volk nicht selbst merken konnte, dass es ihm zunehmend schlechter geht und dass ihm das erst „Konterrevolutionäre“ einflüstern mussten. Und all das unter den wachsamen Augen des Sicherheitsapparates. Lächerlich!

     

    Es scheint, als ob der von Maduros Vorgänger Chávez propagierte und von den damals sprudelnden Öl-Einnahmen finanzierte „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ noch schneller zu Ende geht, als Erich Honeckers „Sozialismus in den Farben der DDR“.

     

    Mit Sicherheit werden auch die gegenwärtigen Wahlsieger nicht das Himmelreich auf Erden schaffen. Hoffentlich haben Maduros Mannen bis zur nächsten Wahl ein realistischeres Konzept zu bieten, als den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“!