Kommentar zur Lage der Nation: Ausufernde Selbstfindungsphase
Die Parteienpolitik in Deutschland ist wie ein langer, ruhiger Fluss. Hin und wieder fegt eine Böe, dann kräuselt sich hektisch die Oberfläche. Aber eigentlich bleibt sich alles gleich. Es herrscht glanzloser Pragmatismus, unauffällige Verwaltung dessen, was ist.
Monate, in denen den Wählerinnen und Wählern eine Art Politiksimulation zugemutet wurde. Wahlkampf, Wahl, Sondierung. Schließlich noch die ausufernde Selbstfindungsphase der Sozialdemokraten.
Die SPD scheint sich ein wenig stärker durchgesetzt zu haben als die Union. Allerdings bedeutet das nicht viel. Denn zum Schluss ging es sowieso nur noch um Tauschgeschäfte der symbolischen Art.
Ein Hauch von Drama weht um die SPD. Sie ringt mit sich, hehre Prinzipien und Machtwille liegen im Widerstreit. Man ahnt, wie das ausgeht. Furcht vor den eigenen Leuten passt schlecht zur propagierten Basisdemokratie.
Nehmen wir mal an, es gibt sie tatsächlich, die Politikverdrossenen, die brav jeden Monat ihren Mitgliedsbeitrag bezahlen, aber trotzdem auf Ministernamen allergisch reagieren. Wird ein SPD-Genosse, der ernsthaft denkt, „denen da oben“ gehe es nur um einen gut bezahlten Posten, freudig für die Große Koalition stimmen? Eher nicht.
Ein schwacher Chef wird auch in einem Superministerium keine Strahlkraft entfalten. Erinnert sich noch jemand an Rudolf Scharping? Personen und Politik gehören nicht nur untrennbar zusammen – sie werden bei Wahlentscheidungen immer wichtiger.
In der deutschen Politik regiert das Merkel’sche Gesetz. Erfolg ist demnach direkt von der Fähigkeit abhängig, unverbindliche Offenheit in alle Richtungen zu signalisieren. Die Merkel-CDU ist innen hohl und nach außen flexibel. Das ist eine Chance für die SPD. Wenn sie weiß, wohin sie will.
Die Knackpunkte waren klug gewählt: Sie schienen einen Kampf ums Ganze zu signalisieren – tatsächlich maskieren sie nur, dass bei den wesentlichen Verteilungsfragen längst Einigkeit herrschte. Belastet werden vor allem diejenigen, die schon jetzt Angst vor der Zukunft haben – und wer bisher keine Sorgen hat, muss sich auch künftig keine machen. Vermögenden und Spitzenverdienern sollen vor allem symbolische Opfer abverlangt werden.
Nun beginnt der Kampf darum, aus den gemeinsam formulierten Zielen konkrete Politik zu machen. Es werden bittere Jahre für die Opposition sein.
Und wieder mal ’ ne Groko? Schnipsel aus weitsichtigen taz-Kommentaren von 2005 und 2013
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