Kommentar zur Armutsdebatte: Rangfolge der Schwachen
Wie man mit Niedrigeinkommen klarkommt, hängt von der persönlichen Situation ab. Dieser Individualisierung muss sich die Politik stärker widmen.
D ie Praxisgebühr fällt weg, der Hartz-IV-Regelsatz steigt. Der politische Streit über Armut könnte also wieder abflachen wie so oft nach dem christlichen Fest der Nächstenliebe. Dabei braucht diese Debatte eine längerfristige Perspektive, denn wie man zuletzt sah, entfalten Armutsdiskussionen mitunter eine Eigendynamik, die nur bedingt hilfreich ist.
Auf der einen Seite stehen die Vertreter der Es-wird-alles-immer-schlimmer-These. Durch den Katastrophismus stellt sich leider schnell eine Abstumpfung in der Öffentlichkeit ein. Darauf müssen die Linken stärker achten.
Der Katastrophismus wiederum beschert den Vertretern der These Zulauf, dass alles gar nicht so schlimm sei, dass das Armutsrisiko Ungleichheit misst und kein echtes Leid, dass sich junge Menschen mit einem Einkommen von 800 Euro doch gar nicht so arm fühlen und sich viele Hartz-IV-Empfänger längst eingerichtet haben mit ihrer Existenz.
st Redakteurin für Soziales im Inlandsressort der taz.
Wie und wann man mit Niedrigeinkommen klarkommt, hängt tatsächlich von der persönlichen Situation ab, und dieser Individualisierung muss sich die Politik stärker widmen.
Wer älter ist, keine Hoffnung auf Verbesserung hat, keine weiteren finanziellen Ressourcen durch einen Nebenjob und kein Netzwerk von Verwandten, der ist ärmer dran als jemand etwa in jungen Jahren, für den die Armutsphase nur vorübergehend ist, der sich Geld durch einen Schwarzjob hinzuverdient und vielleicht einen Partner oder Familie hat.
Obwohl beide Bürger vielleicht nur über ein statistisch erfasstes Einkommen von 750 Euro im Monat verfügen, liegen Welten des Leides dazwischen. Man darf diese unterschiedlichen Erlebenslagen aber nicht gegeneinander ausspielen, im Gegenteil: Ob man sich an den schwächsten Armen orientiert oder nicht, wird zur sozialpolitischen Frage der Zukunft werden.
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