Kommentar zum Tod Ariel Scharons: Der Kompromisslose
Ariel Scharon war Ziehvater der israelischen Siedlerbewegung. Dennoch trat er für die Zweistaatenlösung ein.
V on Taktgefühl zeugen die Feiern in Gaza und die Freude der Feinde Ariel Scharons über seinen Tod nicht gerade. Verständlich sind sie trotzdem. Scharon klebte das Blut an den Händen. Auch das der Palästinenser von Sabra und Schatilla, obschon er dem Morden in den Flüchtlingslagern vor gut 30 Jahren nur zusah. Wie so viele Male zuvor war er damals ausgezogen, um Terrorkommandos zu zerschlagen. Von diesem Ziel angetrieben ließ er das Unrecht an den Unschuldigen geschehen.
Für Scharon gab es keine Kompromisse mit Terroristen. Nicht wie Yizhak Rabin, einem seiner Vorgänger im Regierungshaus, der Verhandlungen führte, als gäbe es keinen Terror, um gleichzeitig den Terror zu bekämpfen, als gäbe es keine Verhandlungen, lehnte Scharon den Dialog mit den Palästinensern unter Feuer ab. Stattdessen stellte er den damaligen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat auf Jahre kalt.
Scharon allein als skrupellosen Terroristenjäger zu erinnern, täte ihm Unrecht. Das war er zwar genauso wie er Ziehvater der Siedlerbewegung war und Pragmatiker und Visionär und Bauer. Aufgewachsen in einem Moschaw, einer Landwirtschaftskooperative, war Scharon von frühester Kindheit an viel stärker sozialistisch geprägt als von einer religiös-nationalistischen Groß-Israel-Ideologie.
Aus strategischen Erwägungen preschte er mit dem Siedlungsbau in den Palästinenensergebieten voran. Nicht die Vorstellung vom gottgegebenen Erez Israel trieben ihn dabei an, sondern die Sorge um die Sicherheit seines Landes und der Mangel an Vertrauen dem Nachbarn gegenüber. Wie Benjamin Netajahu, Israels heutigem Regierungschef, sprach er den Palästinensern den ernsthaften Friedenswillen ab, solange sie Israel nicht als jüdischen Staat anerkennen würden.
Doch anders als Netanjahu zögerte er nicht, die Dinge beim Namen zu nennen und sich offen für zwei Staaten zu erklären. Scharon überraschte, als er von „Besatzung“ und von „Palästina“ sprach und verkündete, die Kontrolle über das andere Volk nicht ewig fortsetzen zu wollen. Der Abzug aus dem Gazastreifen sollte ein weiterer Schritt sein hin zur Zweistaatenlösung, die auch den Abriss von Siedlungen bedeuteten würde, die zuvor unter seiner Aufsicht entstanden waren. Dass Scharon seinen letzten politischen Feldzug nicht zu Ende führen konnte, gehört zu den großen Einbrüchen im Friedensprozess mit den Palästinensern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung