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Kommentar zum Friesenhof-GutachtenGeliefert wie bestellt

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

Der Gutachter argumentiert geschickt: Manchmal könne eine auf Zwang gestütze Pädagogik sinnvoll sein. Das überzeugt angesichts der Risiken dieser Pädagogik nicht.

Klarer Kinderwunsch: Keine Gewalt Foto: Julian Stratenschulte/dpa

D as Vorgehen ist problematisch. Zwar wird sich der Kieler Untersuchungsausschuss zu den skandalösen Frisenhof-Heimen auch noch ein juristisches Gutachten kommen lassen, das die Arbeit der Heimaufsicht bewertet. Aber zur Bewertung der Pädagogik soll es nur dieses eine geben. Das ist in Teilen zwar lesenswert: Der Autor gibt Einblick in interne Dokumente und findet Schwachstellen. Etwa, dass es nicht korrekt von der Heimaufsicht war, schon Achtjährigen eine derart straffe, strenge Tagesstruktur zuzumuten. Aber ist es, im Umkehrschluss, für ältere Kinder vertretbar?

Der Gutachter argumentiert geschickt: Nicht für alle, aber für wenige; nicht immer, aber manchmal könne eine auf Zwang gestütze Pädagogik sinnvoll sein. In den von ihm beforschten Heimen bewirke sie bei einem Drittel, vielleicht gar der Hälfte der Kinder Positives. Das kann angesichts der Risiken dieser Pädagogik nicht überzeugen.

So wenig wie die Ausführungen zur Rechtslage: Seit dem Jahr 2000 haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Hier gilt ein eigener Gewaltbegriff, verboten sind so auch Handlungen, die unter der Strafbarkeitsschwelle liegen: Also nicht nur Schläge, sondern bereits „angstauslösendes Bedrängen“ oder auch auch längeres, die Bewegung behinderndes Zupacken.

Das gesetzliche Gewaltverbot kam erschreckend spät. Viele heutige Erwachsene wurden als Kind geschlagen, und noch immer ist es verbreitete Volksmeinung, dass anderen nicht schaden könne, was man selbst erdulden musste.

Es mag im Heimalltag Situationen geben, in denen ein Erzieher etwa einen Jungen, der stört, mit Körperkraft aus dem Raum schiebt. Regelt aber gleich eine Arbeitsanweisung, wie ein Zwölfjähriger auch gegen seinen Widerstand aus dem Raum zu schaffen sei, wenn er gegen Tischsitten verstößt, könnte das den Pädagogen dazu verleiten, regelhaft so zu handeln – zumal, wenn dies angeblich nur zum Besten des Kindes geschieht.

Der Gutachter ist für seine Position bekannt, die Kieler Abgeordneten bekamen also, was sie bestellten. Es wäre fahrlässig, nur diese eine Fachposition zu hören. Am Ende könnte ein Abschlussbericht stehen, der den Kindern mehr schadet als hilft.

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Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.
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3 Kommentare

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  • Das Gutachten schützt auch Heime an sich, denn viele Einrichtungen laufen schlecht und landen in den Schlagzeilen. Wenn der Landtag dann so eine Position - Zwang kann/darf nötig sein - einfach so mittnimm, wird es vermutlich auch so weitergehen. Interessant ist auch, dass die Politik das hinnimmt, dass dieser sensible Bereich ausschert und sich selbst für so inkompetent erklärt, dass dort immer wieder Zwang benutzt werden muss/darf/soll.

     

    Das Gesetzt scheint mir hingegen Zwang auszuschließen und auf extreme Notlagen zu reduzieren, die im Regelfall gar nicht auftauchen dürften.

     

    Dass in Deutschland nach 1945 in Heimen erschreckende Zustände herrschten und viele ehemalige Heimkinder/jugendliche bis heute darunter leiden, hat den Landtag wohl auch nicht bewegt. Ich sage nur Glücksstadt - mehr Sensibilität wäre wirklich gefragt. Und was im Friesenhof passierte, ist eklatant! Und rührte aus einem System, nicht aus einem Einzelfall. Dieser Gutachter hat das dann toll bagatellisiert mit seiner Position.

  • Zitat Kaija Kutter: "Am Ende könnte ein Abschlussbericht stehen, der den Kindern mehr schadet als hilft". Nun ja, nicht allen, wie es scheint. Nur so ungefähr der Hälfte, vielleicht auch zwei Dritteln, je nach Situation. Aber auf die, denen Gewalt immer und überall schadet, scheint es ja offenbar nicht anzukommen für die überforderten Erzieher. Für die sind jene Wenigen entscheidend, die sich gewaltsam disziplinieren lassen – und anschließend, kaum hat ihnen das Kindermädchen seinen Rücken zugedreht, den angestauten Frust an Schwächeren ablassen.

     

    Zitat Friedrich Küppersbusch: "Ok, fordern wir… Einsatz der Bundeswehr im Inneren … von Kindergärten." Satire? Hm. Ganz offensichtlich "nicht für alle" und "nicht immer, aber manchmal". :-((

     

    Ja, Deutschland scheint verdammt spät dran zu sein mit seinem (Beinahe-)Gewaltverbot - das leider nicht für alle gilt, sondern nur für die Eltern jener Kinder, die nicht in die Obhut der Staatsgewalt gegeben werden (müssen). Noch immer ist es weit verbreitete Möchtegern-Erzieher-Meinung (ja, doch, auch Möchtegern-Erzieher sind das Volk!), dass anderen nicht schaden könne, was einem selber hilft. Zum Beispiel dabei, ein bisschen besser klar zu kommen mit jenen (viel zu schweren) Aufgaben, mit denen man sich übernommen hat.

     

    Sieht aus, als bräuchte man Menschen, die sich nach eigener Ansicht nicht gut wehren können, gar nicht unbedingt verprügeln oder anderweitig vergewaltigen. Es reicht wohl schon, wenn man ihnen droht. Zum Beispiel mit Entlassung oder Nicht-Auftragserteilung.

    • @mowgli:

      tja meinen vorrednern gebe ich recht,was mich sehr verblüfft.alle dieser erzieher sind wieder in lohn und brot,auch der herr der seine position ausnutzte um ein sexverhältnis aufzubauen ist in amt und würden,sämtliche anfragen meinerseits stoßen bis jetzt auf igno,aber ich werde nicht ruhen zum wohle der kinder