piwik no script img

Kommentar zum CSDMehr Politik und weniger Ikea, bitte!

Nina Apin
Kommentar von Nina Apin

Der CSD hat den politischen Anspruch verloren - und bedient nur noch Klischees.

F ür einen Moment hat es Judith Butler geschafft, die Schunkelstimmung zu stören. Die Philosophin trat beim CSD vor die feierseligen Massen - und erklärte detailliert, warum sie den ihr zugedachten Preis für Zivilcourage nicht annehmen wolle. Es war ein Reich-Ranicki-hafter Moment, als Butler auf Deutsch den CSD als kommerziell und oberflächlich schmähte. Und ähnlich wie beim von Ranicki abgewatschten Deutschen Fernsehpreis war Butlers CSD-Rede das Intelligenteste, was dort seit Jahren zu hören war.

Engelsflügel, nackte Hintern und Bratwurst - viel politischer Anspruch ist auf der Parade, die einst als Demo für Homo-Rechte begann, nicht zu spüren. Von Ikea bis CDU schmücken sich Firmen und Parteien mit den Federn der Toleranz. Ein billiges Manöver, warnte Butler: Man dürfe sich nicht vor den Karren von Organisationen spannen lassen, die "im Namen einer queeren Gemeinde" Kriege führten und Bündnisse eingingen, in denen Rassismus und Antisemitismus geduldet würden.

Dass die Rede an manchem Wagen nicht gut ankam, war Absicht. Kalkuliert war auch Butlers ausdrückliches Lob für die MacherInnen des politischeren Transgenialen CSD. Aber dass ihre Preis-Verweigerung von Laudatorin Renate Künast (Grüne) mit einem launigen "immer was zu kritisieren, die Judith" abgetan wurde, zeugt von Denkfaulheit.

Die muss sich auch der Moderator vorwerfen lassen, der eine Pro-Butler-Gruppe anging: Mit ihnen könne man eben nicht feiern. Dafür aber mit Schaulustigen, die sich von der schrillen Parade in ihren Homo-Klischees bestätigt fühlen dürfen. Butlers Kritik könnte für den CSD ein notwendiger Anstoß sein: Mehr Politik und weniger Ikea, bitte!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Nina Apin
Redakteurin Meinung
Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • N
    nym

    @halina bendkowski

    "sicherlich gibt und gab es auch immer bi-sexuelle, aber doch immer weniger als die vielen, die sich dahinter versteckten."

     

    das ist einer der anmaßendsten Sätze, die ich seit langem gelesen habe. so ein Mist. argh.

  • H
    Hatem

    Ob berechtigte Kritik oder nicht: Auf Kosten der Veranstalter in der Business Class einzufliegen, im Adlon zu logieren und ihnen dann den Preis vor die Füße zu werfen - das ist einfach unterirdisch.

  • AS
    André Stephan

    Dass der CSD als unpolitisch abgetan wird, zeugt von lesefaulheit. Ich empfehle einen Blick in die CSD-Forderungen - sie sind in der Community entstanden, jede_r konnte sich beteiligen und DAFÜR wurde demonstriert. Anstatt sich gegenseitig zu zerfleischen, sollte man lieber kritisieren, dass FDP und CDU auf der Parade gerade diese Forderungen nicht in der praktischen Politik unterstützen. Aber eine Priorisierung von Minderheitengruppen, wie sie der kreuzköllner CSD propagiert, ist absolut unpolitisch und verkennt, welche gesellschaftliche Wirkung ein CSD mit so vielen Besucherinnen und Besuchern hat. Eine Luxusdiskussion, wie sie nur im Biotop Berliner Innenstadt vorkommen kann.

  • HB
    halina bendkowski

    Ihren Kommentar hier eingeben

    warum ich martin dannecker zum zivilcouragepreis gratuliere und –aber- nicht judith butler

    warum ich martin dannecker zum zivilcouragepreis gratuliere und –aber- nicht judith butler

     

     

     

    auch millionen butlers, die der längsten und erfolgreichen akademischen ab/schreib/bewegung angehören, können irren.

     

    judith butler war nicht couragiert als sie das werden der geschlechter queer hinterfragen wollte.

     

    nichts anderes ist seit simone de beauvoirs klasssichem zitat:

     

    eine frau wird nicht als frau geboren, sie wird dazu gemacht

     

    ein feministischer allgemeinplatz.

     

    daß es judith butler gelang

     

    in ihrem“ unbehagen der geschlechter“ das lesbisch-sein, queer zu verstecken und dabei akademisch karriere zu machen, ist ihrer klugheit, aus der uneindeutigkeit, theoretisch und praktisch auch für die adeptinnen, mehr freiraum zu gewinnen.

     

    der gewinn lag in der zurückweisung von politik, die im vergleich zur vieldeutigkeit, eindeutigkeiten verlangt.

     

    und die sind manchmal peinlich und erfordern mut, wie z.b. sich als lesbisch oder schwul zu outen.

     

    so wie es einst martin dannecker tat:

     

    "nicht der homosexuelle ist pervers, sondern die situation, in der er lebt."

     

    sicherlich gibt und gab es auch immer bi-sexuelle, aber doch immer weniger als die vielen, die sich dahinter versteckten.

     

    mit der verqueerung von judith butler, die für diejenigen in der coming-out phase eine nicht zu unterschätzende hilfe bot, uneindeutig zu bleiben, entstand eine nun 20jährige queer -ära, die sich darauf beschränkt, immer das konkrete nicht zu meinen. so emanzipiert man sich davon, politik zu machen, politik zu machen, verlangt nicht nur deklarationen, sondern auch zugeständnisse, identifikationen mit den peinlichen.

     

    ist man nun für die gleichen rechte oder mehr für eine queere distanz von lesben, schwulen, bisexuellen und transgendern?

     

    traut man sich die unfreiheiten anderer in anderen ländern, wie im eigenen land wahrzunehmen und zu kritisieren?

     

    das heißt noch immer sich zu outen.

     

    alles im queeren zu lassen. kann theoretisch wunderbar sein, was es auch ist.

     

    courage bedeutet aber immer konkret zu sein.

     

    ps. daß judith butler nun den preis öffentlich nicht angenommen hat und das mit der zu kommerziellen und oberflächlichen ausrichtung begründet, wird der einfachheit halber medial als links gehandelt.

     

    links gegen parties zu sein ist aber doch so recht kein ersatz für politik, die aber siehe oben...