Kommentar von Sabrina Winter über das Hamburger Wahlsystem: Mehr Kreuze setzen heißt mehr Teilhabe
Das Gejammer ist groß: Das Hamburger Wahlsystem sei so unübersichtlich, gar das komplizierteste in Deutschland. Es gebe viele ungültige Stimmen und diese seltsame „Heilungsregel“, mit der ungültige Stimmzettel wieder gültig werden können: Wer blickt da noch durch?
Dabei ist das Hamburger Wahlsystem das beste in der Republik: Es ist moderner und demokratischer als andere Systeme. Denn hier können Wählende selbst bestimmen, welcher Person sie ihre Stimme geben – und so Kandidierende hochwählen. Statt einer Partei die Auswahl zu überlassen, legen Bürger*innen mit fest, wer im Parlament sitzt. Das ist basisdemokratisch. Wählende dürfen so mehr entscheiden als in anderen Ländern, wo es nur Erst- und Zweitstimme gibt. Die Komplexität des Wahlsystems hat also ihr Gutes.
Außerdem sollte es für jede*n Wählende*n möglich sein, zehn Kreuze auf zwei Listen zu verteilen. Fünf Stimmen pro Liste – das ist nicht so schwer. Wem es dennoch schwer fällt, die Stimmen formal richtig zu verteilen, für den*die muss es leichter gemacht werden – mit mehr Hilfestellungen und leichter Sprache.
Rund 24.000 Stimmzettel sind derzeit ungültig. Aber das betrifft die vorläufige Auszählung und es sind gerade mal 2,9 Prozent. Um fair zu sein: Vor der Wahlrechtsreform lag die Quote der ungültigen Stimmzettel bei rund ein Prozent. Doch einige Stimmzettel dürften noch „geheilt“ werden. Denn wenn alle Stimmen nur einer Partei gegeben werden, zählen auch Stimmzettel, auf denen zu viele Kreuze gemacht wurden und die damit ungültig wären. So sollen getroffene Wahlentscheidungen erhalten bleiben. Diese „Heilung“ von Stimmen ist legitim und im Sinne der Wählenden.
Die Wahlbeteiligung war mit 63 Prozent hoch. Das zeigt: Das vermeintlich komplizierte System schreckt nicht ab, wie es manche behaupten. Mehr Kreuze zu setzen heißt auch mehr Teilhabe – und das ist gut.
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