Kommentar von Marco Carini Über Desinteresse der Polizei: „Nur“ ein Neonazi
Stellen wir uns einmal vor, der verstorbene Lutz H. wäre Islamist gewesen. Seine Regale wären vollgestopft nicht mit Nazi-, sondern mit gewaltverherrlichendem IS-Propagandamaterial. Dazu ein Waffenarsenal, das keine Wünsche offenlässt. Die Polizei hätte solch einen Fund mitten in Hamburg mit Sicherheit publik gemacht, die Presse in dicken Schlagzeilen die islamistische Terrorgefahr beschworen.
Stellen wir uns alternativ vor, Lutz H. wäre linksradikal gewesen, in seinen Schränken hätten sich bergeweise Materialien über linksmilitante Aktivitäten, über die RAF und die Revolutionären Zellen gestapelt. Die dazu passenden Waffenfunde hätten uns Medien eine neue, paramilitärische Dimension des Linksterrorismus an die Wand malen lassen, und die Polizei hätte ihre Entdeckung mit Sicherheit an die große Glocke gehängt.
Lutz H. war aber nur Neonazi. Er sammelte verbotene, scharfe Waffen, Hitler-Bildchen, Hakenkreuze und tonnenweise Material über die Auschwitzlüge sowie illegale Schriften. War offensichtlich Fan des islamophoben Massenmörders Breivik und des Völkermörders Adolf Hitler. In welche Teile der ultrarechten oder gar der militanten rechten Szene er Kontakt besaß, weiß niemand genau.
Und: Es wird auch nie jemand erfahren. Alles Material, dass darüber Aufschluss geben könnte, ließ die Polizei sofort vernichten, statt es auszuwerten. Und die spektakulären Waffenfunde mitten in der Hamburger Innenstadt verschwieg sie der Öffentlichkeit, obwohl bislang in der Elbmetropole kaum jemals ein solches Waffenarsenal bei einem bekennenden Neonazi entdeckt wurde.
Dieser Vorgang wirft Fragen auf. Warum die Hamburger Polizei vernichtete und nicht sichtete, bleibt ihr Geheimnis. Ihre Erklärungsversuche dazu sind dünn und mit dem Verfassungsschutz hat der zuständige Staatsschutz über die Neonazi-Funde ganz offensichtlich niemals kommuniziert. Ein bisschen sehr viel Verschwiegenheit.
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