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Anschlag in MagdeburgDer Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten

David Muschenich
Kommentar von David Muschenich

Indem er ihre Narrative verbreitete, bediente er die Agenda von Rechtsextremist:innen. Und sorgt so dafür, dass sich Mi­gran­t:in­nen unsicher fühlen.

Verwaist und ein Ort des Schreckens: am Eingang des Weihnachtsmarktes in Magdeburg Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

B ei Anschlägen wie dem am Freitagabend in Magdeburg sind nicht nur die direkt Betroffenen das Ziel. Die Tä­te­r:in­nen wollen in der Regel Angst und Schrecken verbreiten, für Chaos sorgen. Das hat auch der Täter in Magdeburg getan, indem er mit einem Auto durch den belebten Weihnachtsmarkt fuhr. Bislang gibt es fünf Tote, darunter ein Kind, und 200 zum Teil Schwerverletzte. Bei rund 40 von ihnen muss man weiterhin um ihr Leben bangen. Hinzu kommen ungezählte Traumatisierte. Der Schock sitzt tief. Bundesweit überlegen Menschen nun, ob sie noch Weihnachtsmärkte besuchen. An vielen Orten wurden die Sicherheitsmaßnahmen erhöht.

Doch ungeachtet dessen hört der Schrecken des Anschlags nicht auf. Denn abseits des Gedenkens ist die Situation für Mi­gran­t:in­nen in Magdeburg bedrohlicher. Obwohl der Täter öffentlich rechtsextreme Narrative reproduziert hatte, betonen Neonazis und andere Rechtsextreme jetzt seine saudi-arabische Herkunft und den Anschlagsort Weihnachtsmarkt, um Stimmung für ihre migrationsfeindliche Politik zu machen. Dass der Täter Deutschland vorwarf, zu viele Geflüchtete aufzunehmen und verschwörerisch eine Islamisierung Europas voranzutreiben, klammern sie aus oder negieren es sogar. Die Faktenlage interessiert offenbar wenig. Stattdessen motivierte der Anschlag Rechtsex­treme in Magdeburg dazu, Mi­gran­t:in­nen anzugehen, sie zu beleidigen und zu schlagen.

Die ersten Übergriffe gab es Berichten zufolge schon in der Nacht des Anschlags. Während dann am Samstagabend mehr als tausend Menschen vor dem Magdeburger Dom still der Opfer gedachten, zogen laut Polizei rund 2.100 Rechtsextreme brüllend und mit Böllern werfend durch die Stadt. Viele von ihnen waren vermummt, sie forderten „Remigration“, bedrängten Jour­na­lis­t:in­nen und verbreiteten dabei vor allem eins: Angst.

Genau das wollte auch der Täter, er hat also, im schlechtesten Sinne, sein Ziel erreicht. Und so warnten sich migrantische Communitys in Chatgruppen vor der rechtsextremen Demo. Wer rausgehe, solle nicht allein unterwegs sein und den Kundgebungsort meiden. Manche blieben zu Hause, andere sollen zur Sicherheit sogar die Stadt verlassen haben.

Auch andernorts nutzten Rechtsex­treme das Gedenken an die Opfer aus. Bei einem Fußballspiel in der dritten Bundesliga stimmten die Fans von Dynamo Dresden rassistische Gesänge an. Es ist niederträchtig, den Anschlag für die politischen Ziele zu instrumentalisieren. Das Gedenken an die Opfer, die Trauer der Hinterbliebenen und die Versorgung der Verletzten sollte jetzt im Fokus stehen. Gleichzeit darf der Schock nicht dazu führen, dass Rechtsextreme ihrer Gewalt gegen vermeintliche und wirkliche Mi­gran­t:in­nen oder politisch Andersdenkende einfach freien Lauf lassen.

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David Muschenich
Korrespondent
Ist in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als Korrespondent für die taz unterwegs. War Volontär bei der taz, nachdem er Journalismus an der Universität Leipzig sowie Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Erfurt studiert hat.
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2 Kommentare

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  • Vorneweg: Es liegt mir fern, das Leid oder die Schicksalsschläge der Betroffenen zu schmälern.

    Doch wie stark wir uns von solchen Tätern instrumentalisieren lassen, zeigen folgende Zahlen:

    Täglich sterben in Deutschland 8 Menschen bei Verkehrsunfällen. Hinzu kommen 84 weitere Todesfälle pro Tag durch andere Unfälle.

    Trotzdem verspüren wir weder Panik vor dem Straßenverkehr noch vor Stürzen. In Relation zu 80 Millionen Einwohnern ist der Einzelne statistisch gesehen selten direkt betroffen.

    Meiner Meinung nach gibt es einen Hauptgrund, warum diese Panikmache und Angst sich dennoch so stark verbreiten: die sogenannten "sozialen Medien", wie X & Co.

    Sie verschaffen solchen Tätern erst die notwendige Reichweite.

  • "zogen laut Polizei rund 2.100 Rechtsextreme brüllend und mit Böllern werfend durch die Stadt"

    Eine Demonstration kurz nach einem derartigen Anschlag, hätte von der Stadt auch problemlos mit Verweis auf § 15 VersammlG verboten werden können. Ein Verweis auf die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit in Bezugnahme auf die Ereignisse wäre ausreichend gewesen.

    Es ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass der Staat in einigen ostdeutschen Bundesländern seine Rechte und sein Gewaltmonopol nicht ausschöpft, wenn es um Rechtsextremismus geht.

    Die sich häufenden Übergriffe auf Migranten, Wahlhelfer, Journalisten oder jüngst einer Politikern der Linken sind das Resultat davon.

    Das ist nicht nur für die Menschen mit Migrationshintergrund in den Bundesländern ein großer Anlass zur Sorge, sondern auch für alle demokratisch gesinnten Bewohner in diesen Bundesländern die auf die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols vertrauen.