piwik no script img

Kommentar türkische StrafjustizIn den Händen von Erdoğan

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat die Freilassung des kurdischen Parteichefs Demirtaş gefordert. Die türkische Justiz ignoriert das.

Von Selahattin Demirtaş ist weiterhin nur sein Konterfei in der Öffentlichkeit zu sehen Foto: reuters

D as war es also mit der Hoffnung, dass Selahattin Demirtaş aus der U-Haft entlassen wird. Vor gut zwei Wochen hatte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg entschieden, mehr als zwei Jahre Untersuchungshaft würden die Rechte des Oppositionspolitikers verletzen und die türkische Justiz müsse Demirtas freilassen. Doch nachdem Präsident Recep Tayyip Erdoğan bereits einen Tag nach dem Urteil erklärt hatte, die Türkei werde den Spruch nicht anerkennen, war klar, dass der frühere Vorsitzende der kurdisch-linken Partei HDP seine Zelle im Gefängnis von Edirne nicht würde verlassen können.

Die türkische Justiz fand einen einfachen Weg. Sie verurteilte Demirtaş in einem seiner vielen Verfahren zu vier Jahren und acht Monaten Haft. Das Urteil ist rechtskräftig und kann nicht mehr angefochten werden. Formal wird Demirtaş nun aus der U-Haft in den Strafvollzug entlassen, völlig unberührt davon geht sein Hauptverfahren, in dem die Staatsanwaltschaft eine Strafe von 142 Jahren Gefängnis fordert, weiter. Nächster Prozesstermin ist in Ankara am 12. Dezember.

Jeder weiß, dass Demirtaş ein politischer Gefangener ist und seine Freilassung nicht von juristischen Fragen sondern von politischen Kräfteverhältnissen abhängt. Das Demirtaş, wie viele andere HDP-PolitikerInnen auch, im Gefängnis sitzt, ist Teil der Auseinandersetzung zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen Autonomiebewegung. In dieser Auseinandersetzung gab und gibt es Phasen in denen geredet und Phasen in denen geschossen wird.

Jeder weiß, dass Demirtaş ein politischer Gefangener ist und seine Freilassung nicht von juristischen Fragen sondern von politischen Kräfteverhältnissen abhängt

Demirtaş sitzt im Gefängnis weil die Gespräche zwischen der PKK und der Regierung über ein Ende des bewaffneten Kampfes abgebrochen wurden. Erst wenn es wieder Gespräche gibt, hat er die Chance, freigelassen zu werden. Deutschland, die EU insgesamt, können gemeinsam mit den USA dabei mithelfen die Voraussetzungen zu schaffen, damit Friedengespräche wieder aufgenommen werden. Das ist der Schlüssel zur Freilassung von Demirtaş und vielen anderen HDP-Politikern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
Mehr zum Thema

0 Kommentare