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Kommentar sexuelle Gewalt an KindernSchweigen ist ein Verbrechen

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Mit der Aufarbeitung des Systems ist es beim Thema Kindesmissbrauch nicht getan. Es muss möglich sein, jegliche Ahnung offen auszusprechen.

Kindesmissbrauch hinterlässt tiefe Schäden in der Seele eines Menschen Foto: unsplash/Aimee Vogelsang

S chweigen und immer wieder Schweigen. Menschen, die als Kinder und Jugendliche sexuelle Gewalt erlebt haben, bewegen sich in einem Umfeld, das durch Stille geprägt ist. Stille, weil sie meist selbst nicht über ihre Vergangenheit reden. Sonst, so erzählen sie es selbst, kriegen sie ihr Leben nicht mehr hin. Und Stille, weil das direkte Umfeld, das häufig vom Missbrauch wusste oder zumindest davon ahnte, weder den Mund aufmachte noch reagierte.

Man mag gar nicht darüber nachdenken, was schlimmer ist: die dauerhafte Traumatisierung der Betroffenen oder das Wegschauen der Gesellschaft. Doch der Unterschied ist immens: Das eigene Schweigen ist nachvollziehbarer Selbstschutz und häufig Angst vor Konsequenzen, das Schweigen der anderen ein Verbrechen.

Damit muss Schluss sein. Allein mit der Aufarbeitung des Missbrauchssystems, mit dem Erkennen von Gewaltstrukturen ist es nicht getan. Es geht insbesondere darum, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Familienangehörige, Nachbarn, Kirchenmitglieder auch nur leiseste Ahnungen offen aussprechen können.

In der Kindern, die sich offenbaren, zugehört und Glauben geschenkt und Missbrauch konsequent verfolgt und bestraft wird. Oder verkürzt gesagt: Eine Atmosphäre, in der sexuelle und sonstige Gewalt an Kindern im kleinsten Keim erstickt wird und Opfer mit jeder nur erdenklichen Hilfe rechnen können.

Es sollte unbedingtes Ziel sein, sexuelle Gewalt so stark wie möglich einzudämmen

Eine Utopie? Vielleicht. Es sollte unbedingtes Ziel sein, sexuelle Gewalt so stark wie möglich einzudämmen. Die Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs und der Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig richten darauf ihre Anstrengungen. Dass im vergangenen Dezember sowohl die Kommission als auch Rörigs Stelle entfristet wurden, nachdem die Einrichtungen zuvor alljährlich bangen mussten, nicht weiter finanziert zu werden, darf als zartes Zeichen gelesen werden: Die Brisanz des Themas ist bei den politischen Entscheider*innen offensichtlich angekommen. Denn sie tragen dazu bei, Schweigen zu fördern – oder zu brechen.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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6 Kommentare

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  • Domspatz aus Regensburg



    ist es leid ständig Berichte zu lesen über das Leid derer die wie er zu den leidtragenden gehört nur meine Täter haben weiterhin dank CDU CSU Narrenfreiheit weltweit und kommen immer an neue Opfer ran, jedes Kreuz in jeder Amtstube in Bayern erinnert mich daran das mein Pfarrer und Erzieher bei den Domspatzen sehr viele Einzelfälle zw. 1974 und 1976 produziert hat, straffrei, mein Papst-Bruder Georg Ratzinger hat bewusst weggeschaut! Wo ist da das Recht??? Unser Innenminister verfolgt die falschen Gefährder, Kinderficker gehören nicht in die Jugendseelsorge! Wer handelt hier endlich verantwortungsbewusst? CSu CDU mit Sicherheit nicht, oder

  • Es gibt noch zwei Aspekte zu diesem Thema, die wichtig sind:

    a) dass das Thema sexueller Missbrauch/sexuelle Gewalt immer wieder für Politik benutzt wird. Beispiel wäre die Kampagne der AfD und von AfD-nahen Kreisen zu Opfern sexueller Gewalt durch Flüchtlinge: Es geht dabei offensichtlich um ein anderes Thema, denn die Vergewaltigungen und der Mißbrauch unter Deutschen oder der Mißbrauch gegen Migranten scheinen der AfD dabei ja braun-egal zu sein.

    b) Das generelle Klima der Mißachtung, in dem der Mißbrauch gedeiht: Aktuell wird das an einigen Reaktionen des Establishments (Politik, Schulverwaltung etc.) auf die freitäglichen Schüler*innendemonstrationen deutlich: Da machen Schüler*innen den Mund auf und sagen etwas. Und das Establishment reagiert mit einer Debatte darüber ob die etwas sagen dürfen bzw. ob dadurch Gesetze und Regeln verletzt werden. Statt zu sagen: "Ah, krass, das ist ein Thema für Euch! Was machen wir denn jetzt?"

  • Ach und noch was: Erinnert sich noch jemand an das Buch von Katharina Rutschky?

  • Wissenschaftliche Forschung gibt es zum Thema genug. Was fehlt, ist eine tatsächlich weltweite Kritik an Gewalttraditionen und deren Entstehung. Dies würde Gesellschaften erschüttern. Zusätzlich fehlt eine technische und personale Aufrüstung der Polizei zur Bekämpfung der Kinderpornografie.

  • "Es muss möglich sein, jegliche Ahnung offen auszusprechen."

    Schwieriger Satz!



    Selbstverständlich sind Kinder und Jugendliche, welche sich offenbaren, nicht alleine zu lassen und es muss gehandelt werden und Schutz geboten werden. Sofort!

    Aber jegliche Ahnung offen aussprechen? Wann ist eine Ahnung ohne Aussage des vermeintlichen Opfers nicht vielleicht nur eine fixe Idee aus seinem eigenen Gedankenkonstrukt? Wissen Sie eigentlich, wie toxisch dieses Thema, dieser Vorwurf für alle Beteiligten ist? Es sprengt ganze Familien und zerstört auch das gesamte Umfeld mit schwersten Folgen auch fur das vermeintliche Opfer, wenn die Vorwurfe und Verdachtigungen von Dritten geäussert werden und sich am Ende als haltlos erweisen. Dies macht ja gerade das ganze Dilemma aus. Es geht hier nicht ums Wegschauen. Alle sollten nach dem jahrzehntelangen Schweigens und das beschämende Alleinlassens der Opfer bei dem Thema wachsam und sensibilisiert zu sein. Aber in Zeiten von manch Inquisitionsüberschuss einiger engagierten "Kinderschützern" und bei unterbesetzten Jugendämtern unter Druck ("Lügde-Skandal"), warne ich, einen solchen Aufruf "es muss möglich sein, jegliche Ahnung offen auszusprechen" hier so undifferenziert zu formulieren.

    • @Humboldt:

      Dem kann ich mich nur vollumfänglich anschließen. Die Forderung, Ahnungen offen auszusprechen verlangt eine komplett, geradezu dramatisch andere Kultur des Umgangs mit derlei "Ahnungen" als derzeit. Sonst endet das in einer Denunziantenkultur, gegen die die McCarthy-Ära blass und harmlos aussieht.