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Kommentar jugendliche StraftäterGenaues hinschauen tut weh

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Die Gleichung mehr Überwachung bedeutet mehr Sicherheit geht nicht auf.

E s ist unerträglich. Bei dem Überwachungsvideo aus dem U-Bahnhof Friedrichstraße tut schon bloßes Hinschauen weh. Für eine vernünftige Reaktion aber muss man genau das: genau hinschauen, auch wenn es schwer fällt.

Fakt 1: Der junge Mann, der seinem Opfer auf den Kopf gesprungen ist, sitzt nicht hinter Gittern. Er ist vorerst frei. Das widerspricht dem Bauchgefühl. Aber Rechtsprechung beruht zum Glück nicht nur auf Strafe, sie arbeitet auch mit Anreizen. Der Täter hat sich selbst gestellt. Das muss ein Richter belohnen.

Fakt 2: Der Schläger war unbescholten und stammt aus gutem Hause. Sämtliche Ideen von Prävention greifen ins Leere.

Fakt 3: Die Videoüberwachung hat zur Aufklärung beigetragen. Verhindert hat sie die Tat nicht. Mehr Kameras würden vor allem eins bringen: mehr Bilder von Gewalt. Verhindern werden sie sie leider nicht. Eine Überwachungslinse mag einen wohlkalkulierender Gentleman-Bankräuber beeinflussen. Wildgewordenen Schlägern hingegen ist es nicht einmal egal, ob sie gefilmt werden. Sie denken offensichtlich nicht bei ihrer Tat.

Fakt 4: Das Video zeigt eine brutale Tat auf einem ansonsten leeren Bahnsteig. Dabei sprechen Zeugen von vielen anderen, die weggeschaut haben sollen. Selbst objektiv scheinende Bilder können nicht die ganze Wahrheit erzählen.

Mehr Überwachung und härtere Strafen befriedigen das Bedürfnis nach Revanche. Entsprechende Forderungen machen sich im Wahlkampf gut. Sicherheit aber garantieren nicht mal sie. Das ist ja das unerträgliche.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Bluesky:@gereonas.bsky.social Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de ex-Twitter: @gereonas Foto: Anke Phoebe Peters
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7 Kommentare

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  • B
    überrascht

    Tja p.frosch,

    Bildung scheint ja nun nicht der Schlüssel für eine friedliebende Natur zu sein, der Täter ist Gymnasiast, da sollte man eine gewisse Bildung voraussetzen.

    Jetzt muss er mit den Konsequenzen leben und wie es aussieht ist das, im Moment, kein großes Problem für ihn.

    Da siehts beim Opfer bestimmt anders aus.

  • P
    Paradoxfrosch

    Off with their heads!

    Aber dann auch von jedem Autofahrer, der beim Abbiegen nicht aufpasst, jedem Fahrradfahrer, der auf dem Bürgersteig fährt und einen anrempelt, jedem Fussgänger der besoffen auf den Fahrradweg torkelt und Fahrradfahrer umschubst!

    Dank der Videoüberwachung dürfte man alle Täter kriegen!

    Mehr Überwachung und drakonischere Strafen!!! Nur nicht in Bildung und Erziehung investieren, das könnte ja dazu führen, dass Mensch anfängt zu denken und sich der Konsequenzen solcher Taten bewusst wird, BEVOR er/sie begeht!

  • N
    nihi.list

    @Elvenpath

     

    Es geht nicht um Rachsucht (wie kommen Sie eigentlich darauf, hiervon habe ich nichts geschrieben) sondern darum, gemeingefährliche Leute möglichst lange aus dem Verkehr zu ziehen.

     

    Wieviele Chancen wollen Sie solchen Leuten eigentlich geben? 2, 5 oder 10?

    Bitte bedenken Sie; jede nicht genutzte Chance des Täters bedeutet auch ein neues Opfer. Also anders formuliert. Wieviele unschuldige Menschen müssen verprügelt, geschlagen, beraubt oder vielleicht sogar ermordet werden, bis der Täter ihrer Meinung nach nun aber wirklich übertrieben hat?

  • G
    GuntherG

    @Elvenpath: Zum Thema Rachsucht, bitte einfach mal daran denken wieviel Geld in die resozialisierung gesteckt wird und wieviel für ein Opfer übrigbleibt.

    Da ist die Befriedigung der Rachsucht bzw der genugtuung das der Täter gebührend Bestraft wird das einzige was übrigbleibt.

    Mit den Schäden psychisch und Physisch muss das Opfer in D alleine fertig werden. Jugendliche Täter bekommen eine Ausbildung, Antiagressionskurse....

    D.h. ein Täter wird letzlich däfür belohnt, daß Opfer ist zum zweiten mal der Ar...

  • E
    Elvenpath

    Und woher weiß nihi.list, dass der Schläger wieder Schaden anrichten wird, wenn er in Freiheit ist? Er ist bisher unbescholten und hat sich selber gestellt.

    Man muss jedem Menschen die Chance zugestehen, einen Fehler nicht zu wiederholen.

     

    Drakonische Strafen bringen unsere Gesellschaft nicht weiter, sondern befriedigen nur die Rachsucht.

     

    Unser Rechtssystem ist sehr ausgewogen und hat gute Erfolge vorzuweisen. Richter, Staatsanwälte, Bewährungshelfer und Betreuer machen bei straffällig gewordenen Jugendlichen einen sehr guten Job, dass lässt sich mit Statistiken belegen.

    Aber leider gibt es viele, die glauben, bessere Richter zu sein, als die Leute, die tagtäglich solche Fälle bearbeiten.

     

    Zu der Frage der Videoüberwachung: In London herrscht die größte Dichte an Überwachungskameras weltweit. Inzwischen musste die Polizei zugeben, dass die Kriminalität dadurch nicht weniger geworden ist. Inzwischen werden Kameras deswegen eher zur Überwachung von Parksündern eingesetzt.

     

    http://www.gulli.com/news/gro-britannien-video-2008-05-06

     

     

    So long...

  • G
    Günter

    Warum sollten "sämtliche Ideen von Prävention" angeblich "ins Leere greifen", nur weil der Täter auf ein Gymnasium geht, er bisher nicht straffällig wurde und sein Vater Jurist ist?

    Wer wäre denn im Ernst so naiv und glaubte, dass man menschliches Handeln durch Prävention (oder irgendwelche anderen Methoden) zu 100 Prozent vorherbestimmen könnte. Eine völlig absurde Vorstellung!

  • N
    nihi.list

    Woher weiss der Autor eigentlich, dass eine Überwachungskamera keine Überfälle verhindert?Vielleicht haben ja doch einige potentielle Schläger eben wegen solch einer sichtbar angebrachten Kamera kurz vor der Tat einen Rückzieher gemacht?

     

    Mindestens jedoch helfen die Aufnahmen bei der Überführung. Wer weiss, ob die Schläger von Lichtenberg überhaupt gefasst worden wären?

     

    Und wenn nun noch die Gerichte den Schmusekurs verlassen und Urteile erlassen, die wirklich im Namen des Volkes gefällt werden, dann sind solche Typen für eine lange Zeit aus dem Verkehr gezogen und können keinen weiteren Schaden anrichten.