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Kommentar Wulff in der TürkeiDer Bundesintegrationsbeauftragte

Kommentar von Philipp Gessler

Rassismus wird gerade wieder hoffähig gemacht. Da ist es gut, dass Bundespräsident Christian Wulff die richtigen Worte findet.

D as Ganze hat natürlich auch seine komischen Seiten: Da bemühte sich Exbundespräsident Horst Köhler jahrelang vergeblich, wenigstens einen einzigen Satz zu sagen, der von ihm in Erinnerung bleiben würde. Und seinem Nachfolger Christian Wulff gelingt dies, fast aus Versehen, schon in seinen ersten Wochen im Amt.

Da wurde der deutsche Nationalkicker Mesut Özil beim deutsch-türkischen Länderspiel neulich in Berlin über 90 Minuten jedes Mal von türkischen Fans gellend ausgepfiffen, sobald er gegen den Ball trat. Und der türkische Staatspräsident Abdullah Gül preist ihn kurz danach als leuchtendes Vorbild gelungener Integration in Deutschland.

Die Liste der Absurditäten ließe sich fortsetzen. Aber witzig ist es nicht mehr: Rassismus wird gerade wieder hoffähig gemacht in Deutschland. Gut, dass Bundespräsident Wulff in dieser von Ressentiments und Unwissen geprägten Diskussion die richtigen Worte findet. So auch jetzt wieder in Ankara.

Das hatte dem früheren Ministerpräsidenten Niedersachsens vor Amtsantritt im Schloss Bellevue kaum jemand zugetraut. Bis dahin umwehte Wulff die Langeweile eines Traumschwiegersohns. Doch auf einmal legt der CDU-Spitzenpolitiker los - und ruderte bisher auch nicht zurück, obwohl er für seine Aussage, der Islam ist Teil Deutschlands, viel Kritik aus den eigenen Reihen erntete.

Dass er es außerdem vor dem türkischen Parlament gewagt hat, sowohl die Probleme bei der Integration ("das Verharren in Staatshilfe, Kriminalitätsraten, Machogehabe, Bildungs- und Leistungsverweigerung") anzusprechen wie den immer noch schäbigen Umgang des türkischen Staats mit den so harmlosen Forderungen der winzigen christlichen Minorität in der Türkei - beides zollt einem dann doch Respekt ab.

Klar ist: Ohne eine geglückte Integration der türkischstämmigen Einwanderer in Deutschland und eine Gleichberechtigung der Christen in der Türkei wird es keinen EU-Beitritt des Landes geben. Die gegenwärtige Regierung in Ankara scheint das zu wissen.

Wenn sich Wulff weiterhin so unerwartet mannhaft gegen die gefährlichen Polemiken à la Sarrazin und Seehofer als Integrator und Aufklärer beweist, darf man schon jetzt von einer wichtigen Präsidentschaft reden. Wir werden von Wulff wohl nie rhetorische Glanzstücke im Stile eines Heuss, Weizsäcker oder Rau hören. Aber im Augenblick ist er genau der richtige Mann am rechten Platz.

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17 Kommentare

 / 
  • K
    Kati

    Ab dem 01.05.2011 gilt die Freizügigkeit innerhalb der EU auch uneingeschränkt für die in der EU Erweiterung 2004 beigetretenen osteuropäischen Staaten.

    Daß dann Osteuropäer unbeschränkten Zugang auch zum deutschen Arbeitsmarkt haben, ist nicht mehr zu verhindern. Es handelt sich um Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern. Der Vertrag wurde vor Jahren unterschrieben, alle vertraglich möglichen Verzögerungen sind ausgereizt. Bis zum 01.05.2011 muß unter anderem die deutsche Öffentlichkeit davon überzeugt werden, daß sie mehr Zuwanderung braucht und will.

    Versteht jetzt jede® die Schwemme von Beiträgen und Artikeln in den hiesigen Medien, die (qualifizierte) Zuwanderung befürworten?

  • JR
    Josef Riga

    Völlige Zustimmung zu Ihrer Analyse! Wulff ist der richtige Mann an diesem Platz zur richtigen Zeit. Ich muss gestehen, ich habe den "Jungen" (sorry!)unterschätzt. Es ist zwar schade, dass er nicht eine solche Stimmungskanone wie Johannes Rau ist, oder im Stile des Märchens von den Kaisers neuen Kleidern den Deutschen Allerweltswahrheiten als geniale Erkenntnisse verkaufen kann. So wie es einst R. vom Weizsäcker gelungen ist, als er den staunenden Landsleuten verklarte, dass wir den Krieg 1945 tatsächlich verlören hätten, und -jetzt kommt der Clou- dass wir daran auch noch selber schuld sind, und eventuelle Risiken und Nebenwirkungen dieses Kriegsausgangs eben selbst zu tragen hätten. Ganz Feuilleton-Deutschland brach damals vor Bewunderung über diese Erkenntnis in die Knie und Richard, der alte Böhringer-Fachhändler für Pflanzenschutzkomponenten im Geschäftsbereich "agent orange" stand kurz vor der Seligsprechung.

    Da ist einem ein redlicher Mensch wie Wulff lieber, der einfach die Menschenrechte anderer respektiert, Kopftuch hin oder her, und nicht überall Gesslerhüte zum Grüßen aufstellt. Gesslerhüte wie "auf dem Schulhof muss Deutsch gesprochen werden..." -oder "du musst deine Frau alleine aus dem Haus gehen lassen, sonst bist du kein Mensch" - oder "Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten" (O-Ton Merkel). Den letzteren alten"Gessler-Hut" sieht man übrigens gerne in der Türkei oder in Zypern oder im Libanon herumstehen, Staaten, welche ja nach dieser Merkel-Definition also keine Demokratien sind (sic).

    Herr Präsident, weiter so!

  • W
    Wolfgang

    Es ist schon erstaunlich, wie alle möglichen Leute die Rede Wulffs umschreiben. Auch hier:

    " obwohl er für seine Aussage, der Islam ist Teil Deutschlands, viel Kritik aus den eigenen Reihen erntete."

     

    "Der Islam ist Teil Deutschlands" hat vor 2 Jahren Hr. Schäuble gesagt. Und dafür keine Kritik geerntet! Das beschreibt nur eine Sachlage.

     

    Wulff sagte: "Der Islam gehört zu Deutschland." Das ist etwas ganz anderes. Dies bedeutet eine gemeinsame Geschichte und Tradition. Die hat der Islam nicht in Deutschland. Da hilft es nicht, die Rede Wulffs jetzt umzuschreiben, wie es auch schon die Kanzlerin auf dem Parteitag der JU gemacht hat, als sie Wulff falsch zitierte.

  • P
    pannetone

    @ Jens:

    Glaube ich nicht. Dass der Stammtisch gerade die Foren und Kommentarspalten sowie die veröffentlichten O-Töne dominiert, bedeutet nicht, dass er die Mehrheit ist.

  • W
    WaltaKa

    "Rassismus" = wenn ich manche Zustände und Fehlentwicklungen von Zuwanderung und Integration hinterfrage, kritisiere gar? Sorry taz, aber dies ist billigster "Populismus" (um eins der aktuellen Modewörter aufzugreifen). Ansonsten wundere ich mich, dass von Seiten der taz bisher kein Wort fiel zum Deutungswandel in dieser Republik, die bis vor wenigen Wochen auf christlich-abendländischen Grundlagen, also incl. Aufklärung und Grundgesetz z.B., basierte. Und plötzlich übernehmen alle im Gleichklang die Rede von der angeblich christlich-jüdischen Grundlage unserer 'Kultur'. Christlich-jüdisch? Islam gehört zu Deutschland? War da nicht noch was ohne Religion dazwischen? O Tempora, o Mores!

  • R
    Rainer

    Die ganze Debatte ist doch absurd! Jede Religion hat sich zu integrieren: Die Christen ebenso wie der Islam. Auch die Kirche muss das Gesetz achten und darf z.B. nicht Leute einfach so kündigen. Ich finde, das muss mal klargestellt werden! Religionsfreiheit muss für alle gelten und wenn schon die Türkei angesprochen wird, dann darf es nicht nur um Christen gehen, sondern um alle, die an irgendetwas glauben bzw. nicht glauben.

  • M
    Moxie

    "Beides zollt einem Respekt ab"? Respekt abzollen? Ihr schreibt aber schon noch auf Deutsch, oder?

  • V
    vic

    Es ist gut zu wissen, dass da ein hochrangiger deutscher Staatsgast zu Besuch in der Türkei ist, für dessen Auftreten ich mich nicht zu schämen brauche.

    Noch dazu einer von der CDU.

  • J
    Jens

    "Aber im Augenblick ist er genau der richtige Mann am rechten Platz."

     

    Mit dieser Meinung, sehr geehrter Herr Gessler, dürften Sie ziemlich allein stehen. Zu Recht.

  • V
    veritas

    Wenn Herr Gessler für die taz von einer wichtigen Präsidentschaft spricht, ist mehr als Obacht angesagt. Gut für Deutschland ist mit Sicherheit genau das Gegentei von dem, was die linksgrünen Deutschlandfeinde von sich geben und herbeireden.

     

    Deutschland vivat, crescat, floreat ad multos annos!

  • J
    johannes

    stimmt

    ich bin auch positiv überrascht von unserem neuen Bundespräsidenten

  • D
    Dragonfly

    Zitat:

    "Klar ist: Ohne eine geglückte Integration der türkischstämmigen Einwanderer in Deutschland und eine Gleichberechtigung der Christen in der Türkei wird es keinen EU-Beitritt des Landes geben."

     

    Eine so eindeutige Absage an einen EU-Beitritt der Türkei findet man selten.

  • B
    BeobachterHH

    Es ist erstaunlich, dass es derartige Reaktionen gibt, wenn jemand sagt, der Islam gehört zu Deutschland. Das deutet tatsächlich auf Ignoranz und Rassismus hin. Genauso gehören viele andere Religionen zu Deutschland, solange hier Menschen leben, für die das wichtig ist.

     

    Außerdem finde ich Religionsfreiheitan sich wichtig, denn ich bin überzeugter Atheist - was für mich heißt - ich möchte nicht, dass mir jemand seinen Glauben aufdrückt. Nur durch das Recht auf Religionsfreiheit sind auch Agnostiker, Atheisten, ja selbst Satanisten geschützt.

     

    Das heißt keinesfalls, dass ich z.B. Satanisten oder anderen Religionen inhaltlich zustimmen würde. Ich denke die Idee von Gott (oders einem Gegenspieler) ist rein von Menschen gemacht und falsch, wie so vieles. Das soll aber bitte schön jeder für sich selbst rausfinden dürfen. Überzeugungen bereiten Mühe. Man muss sie sich erarbeiten.

  • FR
    Fricco Reich

    Mai 2008 : Bundespräsident Köhler bezeichnet die internationalen Finanzmärkte als Monster, das in die Schranken gewiesen werden müsse. Eine Aussage, die ich als mutig, richtig und in Erinnerung bleibend bezeichne. Sollte sich auch die taz merken, falls es da mal wieder jemand einfallen sollte, zu behaupten, Köhler sei kein bleibender Satz zuzuschreiben.

  • W
    willy

    Gessler weiss eben, was Rassismus ist!

  • S
    skate_hobbit

    Ja da kann ich nur zustimmen, wie komisch die ganze Geschichte ist. Wulff sondert von keiner Sachkenntniss getrübte Plattitüden ab (Christentum gehört auch zu Deutschland, jetzt Christentum gehört auch zur Türkei)und erläßt en passant in der Türkei eine Fatwa gegen Seehofer und Sarrazin... und die TAZ findet es gut... Ja das Geld für Komiker kann man sich sparen in diesen Zeiten.

  • DU
    der Uli

    und am Ende wird diese Personalie der gelungenste Fehlgriff der Kanzlerin Merkel gewesen sein, ja.

    Es ist erstaunlich, wie sehr Leute sich verändern, wenn sie den angestammten Platz verlassen (müssen) - Wulf ist ja gerade erst emigriert. Hoffen wir, dass er sich integriert - aber eben nicht anpasst (im Sinne von "gleichförmig wird").

    Dann könnte er ein Vorbild sein - für "die Türken", aber mehr noch für die Bayern - und andere Leute mit Integrationsproblemen ...