piwik no script img

Kommentar Wulff-FreispruchUnwürdiges Benehmen

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Der Rücktritt von Christian Wulff war und bleibt richtig. Denn der Anspruch an einen Bundespräsidenten bemisst sich nicht am Strafrecht allein.

Ist zwar freigesprochen, hat sich politisch aber selbst vernichtet: Christian Wulff Bild: dpa

C hristian Wulff ist sein Freispruch zu gönnen. Von den Vorwürfen der Staatsanwälte blieb nichts übrig, sie führten am Ende verzweifelt irrelevante Petitessen gegen ihn an. Wulff hat sich vor Recht und Gesetz nichts zuschulden kommen lassen. Da ist es Zeit für ein paar selbstkritische Fragen: Muss die Geschichte neu geschrieben werden? War es falsch, dass Wulff als Bundespräsident zurücktrat? Wurde er zum Opfer einer Medienhatz?

Zunächst die wichtigste Antwort: Wulffs Rücktritt war und bleibt richtig. Zur Erinnerung: Es ging in dieser Affäre, in der viele Belanglosigkeiten skandalisiert wurden, um ernste Vorwürfe: Wulff log vor dem niedersächsischen Parlament. Er versuchte mit seinem legendären Anruf bei der Bild-Zeitung kritische Berichterstattung zu beeinflussen, wenn nicht zu verhindern. Und er bewies damit, dass er immer noch wie ein politischer B-Promi aus Hannover dachte, der die Kumpanei mit dem Boulevard für sich nutzen wollte – und nicht wie ein Bundespräsident. All dies war nicht strafbar, ist aber wichtig für die Beurteilung.

Wulff musste gehen, weil er dem Amt nicht gewachsen war, weil sehr, sehr viele Menschen in Politik und Bevölkerung sein Benehmen unwürdig fanden. Der Anspruch an einen Bundespräsidenten bemisst sich eben nicht am Strafrecht, er trägt politische Verantwortung.

Und ja, natürlich: Es gab absurde Auswüchse medialer Unprofessionalität. Journalisten jazzten ein geschenktes Bobbycar zum Skandal hoch, sie stellten Wulffs Anwalt hanebüchene Fragen. Die Bild-Zeitung agierte feige und verlogen, indem sie die Mailbox-Nachricht an andere Medien durchstach, ihr ging es um einen Machtkampf mit dem Präsidenten.

Aber diese Ausreißer rechtfertigen nicht, die Affäre als Komplott einer Medienmeute abzutun. Wulff hat sich politisch selbst vernichtet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • W
    Wolfgang

    Das deutsche Kapital vs. Wulff

     

    Die politische Administration der deutschen Monopol-, Dividenden- und Rüstungsbourgeoisie, benötigte einen Nato-Atlantiker und BND-Staatsschutz-Mitarbeiter (BfV-BStU), einen christlichen und ostdeutschen Kleinbürger (und Antikommunisten) wie Joachim Gauck.

     

    Die privaten bürgerlichen und staatsmonopolistischen Medien, der BDA-Wirtschafts- und BDI-DAX-Monopolverbände, sorgten erfolgreich für die notwendige geistige Manipulation und Gehirnwäsche: für die Zustimmung im Lobby-Parlament und auch bei der Bevölkerungsmehrheit.

     

    "Das Kapital" ist heute, - im modifizierten (moderen) Kapitalfaschismus -, erfolgreicher als vor 1945. -

     

    Siehe doch nur die gesellschaftspolitische Realität der Überwachungsgesellschaft, - im nordamerikanisch-deutsch-europäischen Kapitalfaschismus -, der objektiv herrschenden Finanz- und Monopolbourgeoisien in Nordamerika, Asien und EU-Europa ...

  • HG
    Helmut Glas

    Nach dem Wulff Freispruch erster Klasse erwarte ich daß sich die Presse ihrem eigenen Anspruch entsprechend entschuldigt allen voran BILD und Spiegel. Bis jetzt erkenne ich nur das Bemühen die eigene dreckige Wäsche sauber zu waschen. Die Methode einen unschuldigen Mann an den Henker auszuliefern und öffentlich zu hängen ist Gott sei Dank gescheitert. Das Seil am Galgen ist gerissen.

  • TL
    Titus Löffler

    Mich kotzt es langsam an.

    Mit Hauen und Stechen wird bei Wulff sowohl von den TAZ-Meute als auch von vielen Floristen auf die moralische Ebene in dem ganzen Debakel verwiesen.

     

    Gleichzeitig wird man nicht müde bei Edathy zu betonen wie juristisch unschuldig er ist.

     

    MFG

    Titus Löffler

  • "Er war nicht der Schlechteste, aber man kann Ihm auch nichts Gutes nachsagen."

    (westfälischer Nachruf)

  • D
    D.J.

    @Kent Clark,

     

    "waren ausschließlich durch die linke Pressehatz "informiert""

     

    Nö, da verstanden sich linke und rechte Presse (Bild) wunderbar.

  • KC
    Kent Clark

    Typisch taz. Einseitig bis zum Gehtnichtmehr. Die "sehr, sehr vielen Menschen", die ihn angeblich für unwürdig befanden, waren ausschließlich durch die linke Pressehatz "informiert". Der unsichtbare Gauck, von allen als der große Messias gefeiert, ist eine Riesenenttäuschung - ist der etwa würdiger? Wulff ist voll rehabilitert, aber das kann die linke Presse ja nicht zugeben - schließlich war sie es ja selbst, die sich ohne Ende über die Untaten des Herrn Wulf ereifert haben, von denen jetzt nichts mehr übrig ist.

    • TA
      Traum A.
      @Kent Clark:

      "..die linke Presse.."

      mit ihrer Speerspitze "Bild".

  • Mich würde mal ein Kommentar interessieren mit dem Inhalt, daß der Rücktritt ein Fehler war. Argumente würden sich doch für einen guten, neutralen Journalisten leicht finden. So ist der Kommentar nur ein Teil der Gebetsmühle: die Medien machen keinen Fehler. So ein wenig Selbstkritik wäre sicherlich kein Fehler. Hat da keiner Mut?

    • @tabernac:

      nun, es ist nirgendwo vorgesehen,dass wer wegen eines ermittlungsverfahren (eingeleitet nach anlage 6 GeschOBT) oder auch nach aufhebung der immunität zurücktreten muß. es hat ja schließlich auch nicht jede verdachtskündigung bestand.

      so gesehen war der rücktritt ein fehler, der das falsche denken, jedem anfangsverdacht wohne bereits das negative urteil inne, nur verstärkt.

      allerdings: unter kleinen wie großen jungs gilt ein jeder, an dem sichtbar wird, wie homosoziale reproduktion so all funktioniert, als moralischer versager. weil an ihm offenbar wird, dass karriere am allerwenigsten mit intelligenz zu tun hat.

      diese erkenntnis fürchten auch die medienvertreter.

  • KK
    Karl K

    woher " durchstechen"?

     

    na - was das Wort doch sagt,

    wo " abledern" auch herkommt:

    voll analog prädigital;

  • Moralisch ist der Rücktritt von Wulf richtig gewesen wie auch der von Friederich. Bei Friederich hingegen zeigt sich in erschreckender Weise, wie schlecht es um das "Rechtsstaatlicheempfinden" der zwei größeren Parteien steht, wenn es um die eigenen Leute geht.

    Friederich wird von der Basis gefeiert für seinen mutmaßlichen Geheimnisverrat und der daraus resultierenden Straftatvereitelung, Gabriel und Opferman haben zumindest Beihilfe geleistet und müssten auch aus moralischen Gründen gehen (aber ich könnte drauf wetten das gegen die noch nicht mal ermittelt wird).

    Statt dessen stellen sich die zwei Halunken hin und versuchen Edathy, dessen Schuld nicht bewiesen ist und er damit auf einer Stufe mit den Drei zuvorgetanen steht, aus ihrer Partei zu entsorgen.

    Und so Leute, und Ihre Parteien, agieren im Bundestag und in in der Bundemerkelregierung. Wenn wundert es noch das nun die rechtspopulistischen "Affen für Deutschland" stark werden.

  • A
    ama.dablam

    Wo kommt eigentlich dieses komische, plötzlich omnipräsente Verb "durchstechen" her?

  • Im Tenor, Ulrich Schulte, stimme ich Ihnen zu. Aber es geht nicht nur um Wulffs Verhalten "in der Affaire":

     

    Hier hat einer von "Freunden" jede Menge Wohltaten erfahren, größere und kleine, vom Halbmillionenkredit zu traumhaften Konditionen über Urlaubsaufenthalte bis hin zu dieser unsäglichen "Peanuts"-Oktoberfestsause. Gefälligkeiten von Freunden, die dies nicht wären, handelte es sich nicht um einen Ministerpräsidenten und einflussreichen Spitzenpolitiker, sondern etwa um einen angestellten Buchhalter C. Wulff, der 40 Stunden in der Woche zu angemessenem Lohn einer nützlichen(!) Arbeit nachginge. Von einem Spitzenpolitiker, angeblich der "politischen Elite" zuzurechnen, Jurist noch dazu, erwarte ich den Charakter und die Intelligenz, den bösen Anschein zu vermeiden. Ein Ministerpräsident ist angemessen bezahlt und auf "Zuwendungen" nicht angewiesen.

     

    Und jetzt noch dieser unsägliche Richter, der sein Urteil offensichtlich schon vor Prozessbeginn fertig hatte. Der von "Peanuts" schwafelt bei einem Betrag, von dem manche zwei Monate Leben müssen. Der offenbar noch nie den Begriff "Pflege der politischen Landschaft" gehört hat, mit dem Lobbyisten so gern und harmlos ihre permanente Großzügigkeit kaschieren. Immer ohne nachweisbare konkrete Gegenleistung selbstverständlich - das wäre ja sonst "Bestechung"...

     

    Auch wenn der Freispruch formaljuristisch Bestand haben sollte - er ist nicht "Erster Klasse", wie Wulffs Anwalt herumposaunt, weil moralisch ungerecht. Und deshalb hat der Alt-Bundespräsident Wulff die üppige, lebenslange Apanage nicht verdient.

    • @Bitbändiger:

      Der Bericht von Herrn Schulte gefällt mir sehr gut, bis auf die Tatsache dass mal wieder das Bobbycar verharmlost wird. Der Mann hat mehr als 2,50€ auf dem Konto, kann es sich also leisten selber eines zu kaufen, und wieso gelten für einen Bundeswulff andere Maßstäbe in Sachen "Geschenke annehmen" als für jeden anderen Beamten auch!

      Und nach Ihrem wunderschönen Kommentar Bitbändiger, bleibt nur noch die Frage offen, wie man sich als Richter nach so einem unmöralischen Urteil noch selbt im Spiegel betrachten kann. Naja, die Staatsanwaltschaft will das Urteil anfechten; harren wir der Dinge!

    • HB
      Harald B.
      @Bitbändiger:

      Ich empfehle ihnen dringend, sich über unser Rechtssystem zu informieren. Sie haben es leider immer nocht nicht verstanden: Wulff- das war eine reine Medienhetzjagd, da war nichts Justiziables dran. Punkt.

      • @Harald B.:

        Es wäre schön, wenn sie ein paar Argumente geliefert hätten.

         

        Im übrigen lässt die Qualität Ihrer Einlassung vermuten, dass meine Kenntnisse des Rechtssystems (schon aus professionellen Gründen) den Ihren weit überlegen sind.

    • @Bitbändiger:

      Richtig, so sehe ich das auch.

  • J
    jegg

    Genau!

    Wulff hat sich politisch selbst vernichtet.

  • DW
    DIE WAHRHEIT

    Eins ist gewiß wie das Amen in der Kirche, dieser Exbundespräsident Wulff ("C"DU) ist der Korruption und Vorteilsnahme schuldig, wie der Dieb in der Nacht !!. Wulff darf es nicht gelingen, die Justiz dazu zu Misbrauchen sich von seinen Schandtaten rein zu waschen !. Nichts anderes als ein klarer Schuldspruch, ist in der unerträglichen Affäre Wulff - gerecht und angebracht !.

    Dieses Pfuschurteil (sog. Gefälligkeitsurteil) , ist nichts weiter als eine miese Ohrfeige für den anständigen, hart Arbeitenden Bürger mit einer fatalen Botschaft !. Pfui Teufel !!.

  • A
    Anke

    Nee! Die Medien haben ihn für ihre Auflagenzahlen geschlachtet. Punkt. Wer ohne Sünde ist, der kann gerne steine werfen. Das Blatt Bild, dass die Bezeichnung Zeitung nicht verdient, aber ganz sicher nicht!

  • F
    Frank70

    'Wulff hat sich politisch selbst vernichtet.'

    Richtig.

    'Aber diese Ausreißer rechtfertigen nicht, die Affäre als Komplott einer Medienmeute abzutun.'

    Etwas mehr Selbstreflexion, bitte. Nicht nur Wulff hat an Ansehen verloren. Mehr noch die Medienmeute.

  • P
    Pressekritik1

    Unbelehrbar und ohne wirkliche Selbstkritik hält Herr Schulte daran fest das Herr Wulf seinen Rücktritt selbst zu verantworten hat. Damit stellt er die Ereignisse von den Füßen auf den Kopf. Die außer Rand und Band geratene Presse, die sogenannte „Vierte Macht“ im Staate wird immer noch nicht kritisiert, obwohl ihr Fehlverhalten auf der Hand liegt. Sie schaffte den öffentlichen Druck und wenn dann der Getriebene vorverurteilt am Pranger des selbstreferentiellen Presse-Diskurses steht und auch noch ein schlechtes „Krisenmanagement“ zeigt ist er selber Schuld an seinem öffentlichen Bild. Diese Szenerie ist so berechenbar und die Bildzeitung hat sie weidlich ausgenutzt und viele andere Journalisten haben sich für die Kampagne „stürzt Wulf“ willig instrumentalisieren lassen. Erschreckend für mich ist wie einfach das in einem Pressebetrieb geht, der seine Erkenntnisse einfach voneinander abschreibt ohne das zu tun was Journalistische Aufgabe wäre, zu recherchieren und eine eigene Meinung zu bilden und Abstand zu der anstandslosen Meute zu halten.

    Herr Wulf war nicht mein Kandidat für das Bundespräsidentenamt aber als die Bildzeitung anfing ihn zu dementieren wurde er mein Bundespräsident, weil ich mir nicht von den Diekmanns vorschreiben lassen möchte wer es denn sein soll. Mich belehrt die Causa Wulf darüber in welchem Zustand sich unsere veröffentlichte Meinung befindet und das ängstigt mich.

  • G
    Gast

    Bin über solche Reaktionen sehr enttäuscht. Ob in der Tagesschau, SZ, FAZ oder TAZ, überall hört man dasselbe: Wulff sein an seinem Unglück selbst schuld. Überzeugende Argumente dafür sucht man aber vergebens.

  • B
    bupräad

    Danke Herr Schulte - genau so isses!