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Kommentar Wilders-PleiteDie Schraube überdreht

Kommentar von Tobias Müller

Die Veröffentlichung der Exit-Polls war in der EU umstritten, in den Niederlanden nicht. Nach Wilders' Niederlage könnte das ein Signal sein.

Unerwartetes Rückenzukehren: Wilders wählt Bild: dpa

V on einer Entzauberung zu reden, wäre verfüht. Doch die unerwartete Niederlage der niederländische Freiheitspartei bei den EU-Wahlen hat Galionsfigur Wilders und seinen Jüngern hart zugesetzt.

Das vollmundig angekündigte politische Erdbeben ist damit einfach ausgefallen, zumindest in seinem Epizentrum, den Niederlanden. Diese wählten nämlich, sofern sich überhaupt jemand an die Urne bemühte, liberal.

Die Regierungspartei VVD sowie die D66, die als Konsens-Partei in der Mitte des Spektrums seit Monaten im Aufwind sind, stellen die Gewinner der Wahlen, neben den Christdemokraten. Allesamt sind dies Parteien, deren sozialökonomisches Konzept im wesentlichen kompatibel ist mit den Leitlinien des Brüsseler Austerität- Paradigmas.

Dass nun bis zu 65 Prozent der PVV-Wähler lieber zu Hause blieben, enthüllt zweierlei: Sie wollen vor allem, dass Europa sich aus ihrem Vorgarten raushält. Doch abschaffen, austreten, von innen aushöhlen, all diese Schlüsselvokabeln der Wilders’schen Rhetorik, das ist ihnen zu viel.

Wilders machte sich vor zwei Tagen auf, um in Brüssel einen Stern aus der EU- Flagge zu schneiden. Seinem Wahlovolk war selbst der Weg ins Wahllokal zu weit – Anzeichen einer Schere, die auseinanderklafft.

Bei nationalen Wahlen weiter vorne

Und es gibt mehr: Wer sich umhört im Land, trifft immer wieder auf Menschen, die der PVV durchaus zustimmen, denen aber Wilders' rabiater Tonfall und seine aufdringliche Agitation zu weit gehen. Der vermeintliche Volkstribun übersieht im Eifer des Gefechts manchmal ein wesentliches Merkmal seines Volks: nämlich, dass man gerne alles met mate tut, „in Maßen“.

Just Wilders hat zuletzt mit seiner Polemik gegen Marokkaner die Schraube überdreht. Grund zur Entwarnung ist das alles noch nicht. Am Tag der Europa- Abstimmung gab es in den Niederlanden eine Umfrage zur Präferenz bei einer Parlamentswahl. Dabei liegt die PVV weiter stabil in der Spitzengruppe. Dieses Potential wird sie weiterhin abrufen können, sofern es um etwas geht, das näher am eigenen Gartenzaun liegt.

Im Hinblick auf Europa ergibt sich nun eine interessante Konstellation: die sofortige Veröffentlichung der Exit Polls – auf diesen basiert das bisherige Ergebnis in den Niederlanden – war nicht nur ein Politikum, sondern wurde auch als Exempel für die Selbstbehauptung gegenüber „Brüssel“ interpretiert, und zwar nicht nur von den Rechtspopulisten.

Sollte nun also ausgerechnet die Schlappe der PVV eine Signalwirkung nach Europa haben?

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15 Kommentare

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  • Und? Wie fühlt es sich an, wenn man einen Artikel allen journalistischen Regeln zum Trotz im Indikativ statt im Konjunktiv schreibt, und sich dann herausstellt, dass die Aussage des Artikels binnen zwei Tagen von der Wirklichkeit eingeholt wird? Ist das Jubelgeschrei angesichts der Fakten im Halse steckengeblieben?

  • So knapp wie hier dargestellt kommt manches noch etwas schräg rüber und sollte erläutert werden:

    Die rechtsliberale konservative VVD ist natürlich ein Verlierer. Sie hatte bei den Wahlen zur Tweede Kamer (ca. bei uns: Bundestag) noch ca 27% und hat jetzt 12.

    Wilders hat sogar zwei Prozentpunkte mehr als bei der letzten Kamerwahl. Aber mal zur Erinnerung: Die Liste Pim Fortuyn war vor gut 10 Jahren mit 18% in der Kamer vertreten. Die gibt es heute gar nicht mehr.

    Die Niederländer haben bei weitem nicht diese Parteibindungen wie in der BRD. Das ist maximal bei den "Kennisen"-Partijen so, die ihre ideologisch festgelegten Wähler haben. (Das sind die Ultra Protestanten wie CU und die "Taliban-Protestanten" SGP sowie auch die Tierschutzpartei PvdD, die btw das erste Mal auch ins Europäische Parlament durch Niederlande einziehen wird.)

    CDA hat im Vergleich zur Kammerwahl zwar wieder etwas dazugewonnen, aber dafür zur letzten Europawahl 5% verloren.

    Tatsächlich gewonnen im Vergleich zu beiden Wahlen haben nur zwei Parteien. Und zwar die D66 erheblich! Wobei auch die mit "linksliberal" schlecht beschrieben sind. Die sind wirklich eher niederländisch-liberal, d.h. auf jeden Fall viel, viel toleranter als die irgendeine FDP oder irgendwelche Grünliberalen in der BRD, auch viel sozialer eingestellt, aber eben auch wirtschaftsliberal bis zum gehtnichtmehr und auch realpolitisch konsensverbunden. Das sind die Repräsentanten der Niederlande der 70er Jahre mit ihren alten Werten wie Toleranz und Konsensfähigkeit.

    Die andere Partij, die bei beiden Wahlen hinzugewonnen hat, wenn auch im kleinen Maße, aber beständig, ist die SP, deren Verhältnis zur EU ungefähr so diffus ist wie das der deutschen Linkspartei.

    Es gab sehr viele Debatten, warum Wilders schlechter abschneidet seit einiger Zeit (z.B. sonderbare Parteikonstruktion mit ihm als einzigesm Mitglied), aber insgesamt ist in den NL doch eher ein Schritt nach links als wie nach rechts abzulesen.

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Kommen die Leute also langsam wieder zur Vernunft und haben genug von den hirnlosen Schreihälsen aus der rechten Ecke. Wird auch langsam Zeit. Irgendwann tun einem halt doch die Ohren weh vom nationalistischen Dauergetöse, zumal die Tonlage niemals wechselt.

     

    Hat übrigens jemand die intellektuell sehr anspruchsvoll formulierten Plakate in Österreich gesehen? "Österreich denkt um - zuviel EU ist dumm" heißt es da. Liebe Nationalisten: Selbst Eure Klientel ist geistig nicht so abgestumpft, daß sie auf einen dermaßen plumpen Gossenreim abfährt.

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Der schöne Geert hätte vor der Wahl zum Frisör gehen sollen. Mit so einer Matte kann man doch als Nationalist nicht überzeugen.

  • Kann das rechtens sein?

     

    Wir wählen in 28 Ländern in Europa ein europäisches Parlament. Die Wahl findet in diesen Ländern an verschiedenen Tagen statt.

     

    Bei uns in Deutschland ist es so, dass kurz vor der Wahl keine Prognosen mehr veröffentlicht werden dürfen. Außerdem dürfen Ergebnisse erst veröffentlicht werden NACHDEM die Wahllokale geschlossen wurden.

     

    Fragen:

    Welches Wahlrecht gilt auf europäischer Ebene? Dürfen jetzt bereits Ergebnisse, oder quasi als Wahlergebnis ausgegebene Umfragen veröffentlicht werden, obwohl die Wahl in vielen Ländern erst Tage später stattfindet?

     

    Das wäre meiner Meinung nach so, als ob bei der Bundestagswahl die Bundesländer an verschiedenen Tagen wählen, und die Ergebnisse eines Bundeslandes bereits veröffentlicht werden, obwohl andere Bundesländer erst Tage später wählen.

     

    Wenn man unser Wahlrecht auf die Europawahl zum Maßstab nimmt, dann dürften kurz bevor das erste Land wählt keine Prognosen/Umfragen mehr erlaubt sein, und die ersten Hochrechnungen/Ergebnisse dürften erst veröffentlicht werden, wenn die Wahllokale des zuletzt wählenden Landes geschlossen sind.

     

    Ich halte es für unabdingbar, dass ein Parlament an einem Tag von allen Wahlberechtigten gewählt wird. Ansonsten kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Abstimmung der später Wählenden durch die Bekanntgabe von Ergebnissen der früheren Teilwahl und deren Kommentierung beeinflusst wird.

    • 9G
      90191 (Profil gelöscht)
      @Rettungswahnsinn:

      Man darf doch davon ausgehen, daß der mündige Bürger seine Entscheidung nicht wie das Fähnlein in den Wind hängt? Gerade die Nationalisten im Lande sind doch immer so unerschütterlich fest in ihrer Gesinnung und treu den Werten des Vaterlandes, daß ihnen das Versagen des schönen Geert doch keinen Abbruch tut.

    • @Rettungswahnsinn:

      Tja, hatten wir aber auch schon in der BRD, dass die Wahlen zum Bundestag nicht überall am gleichen Tag stattfanden und die Wähler sogar schon das restliche Ergebnis wussten, als sie wählen gingen.

       

      http://de.wikipedia.org/wiki/Nachwahl

       

      Und so wie ich verstanden habe, wird auch das bundesdeutsche Fernsehen wieder um 18h schon am Sonntag Prognosen veröffentlichen, obwohl in vielen Ländern die Wahllokale erst später schließen.

       

      Sie sollten die Wahlen zu einem Parlament, dass sowieso nix zu entscheiden hat außer Rumzulabern, nicht so ernst nehmen.

  • Die PVV spiegelt zwar die politische Überzeugung einer gewissen Gesellschaftsschicht in den Niederlanden wider, aber in der Europafrage bleibt der Bürger eher konservativ. Den Fehler einen Industriestaat durch den Einfluss des Neoliberalismus in einen Dienstleistungsstaat umzubauen, sehen Viele nun ein.

     

    Da kam das Geschwafel von Geert Wilders zur falschen Zeit. Seine Vorstellung eines nun "isolierten" aber autarken Nationalstaates wird von seiner Wählerschaft eben nicht geteilt. Es wäre ökonomischer Selbstmord. Das kann man im Augenblick überhaupt nicht gebrauchen. Im Gegensatz zu Deutschland wird hier eine Arbeitslosenquote von 6 % bereits als bedrohlich angesehen, während Deutschland sich dabei als "Aufstiegsland" feiern lässt und CDU-Vorständler bereits von "Vollbeschäftigung" faseln. Wohlgemerkt, die offizielle deutsche Arbeitslosenquote von rund 6,8% ist dagegen noch geerdogant! (politische korrekte Bezeichnung für eine Tätigkeit von Bewohnern eines Staates der südlichen Hemisphäre, die den Eintritt in die EU anstreben).

     

    Viel interessanter ist das Abstürzen der PvdA auf 12 %, eine Marke, die in Deutschland auch intensiv von den Genossen in der SPD angestrebt wird, aber leider noch nicht in Erfüllung geht. Auch bei den Kommunalwahlen hat diese Partei verloren und die Gründe liegen auf der Hand. Als Steigbügelhalter für die Neoliberalen, der VVD, schwindet in den Niederlanden die Begeisterung für den angewandten Thatcherismus und es gehen dann zuerst die Koalitionäre den Bach hinunter. Auch diese Entwicklung wird bald in der BRD deutlich werden. Vielleicht schon sind die ersten Zeichen am Sonntagabend zu sehen.

  • Hier noch eine interessante Umfrage der Uni Mannheim zur Europawahl: http://ww3.unipark.de/uc/europawahl2014/

    Die Bearbeitung dauert nur ca. 8-10 Minuten, und wer möchte, kann im Anschluss an einer Verlosung von 5 mal 50 Euro teilnehmen.

     

    Und natürlich nicht vergessen, am Sonntag wählen zu gehen!

  • 3G
    372 (Profil gelöscht)

    Dachte, VVD sei die Partei von Ayan Hirsli Ali, also gemäßigt populistisch.

    • @372 (Profil gelöscht):

      Die damalige VVD-Justizministerin Verdonk wollte Hirsi Ali die niederländische Staatsbürgerschaft aberkennen, weil diese Falschangaben bei ihrer Einreise in die NL gemacht hatte. Seitdem hat Hirsi Ali mit der VVD nix mehr am Hut.

      Die eher konservativen Parteien VVD und CDA lehnten es auch ab, Hirsi Ali weiter den entsprechenden Personenschutz zu gewähren. Heute gibt es nur noch vereinzelte Anträge von GroenLinks und SP, also eher von der linken Seite, ihr Schutz zu gewähren.

      Hirsi Ali ist das alles längst einerlei, die ist US-Staatsbürgerin geworden.

  • naja, es wurden Wähler nach der Stimmabgabe befragt, hier jetzt schon von einer "Niederlage" zu sprechen halte ich für mehr als gewagt.

  • Die Gewinnerparteien sind CDA! und D66, die VVD dagegen nicht.

    Siehe auch: http://www.nrc.nl/verkiezingen/2014/05/22/reacties-op-de-exitpolls-cda-verrast-pvda-gaat-doorwerken/

  • "Schlappe" sind immer noch über 10 % und viertstärkste Kraft. Ich glaube nicht das die TAZ bei ähnlichem Ergebniss z.B. der Linken in Deutschland von Schlappe reden würde.