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Kommentar WikileaksDie großen Zeiten sind vorbei

Katrin Gottschalk
Kommentar von Katrin Gottschalk

Wikileaks’ unkuratierte Veröffentlichung von Daten gefährdet Privatpersonen. Und die brisanten Leaks der letzten Jahre machten andere.

Was wurde nur aus seinem Projekt? Julian Assange als Videogast bei einer Journalistenkonferenz Anfang Juli in Chile Foto: reuters

D aten sind gefährlich. Das gilt nicht nur für Regierungen, sondern auch für Privatpersonen, zeigt ein Blick in die Türkei. Vor einer Woche veröffentlichte die Enthüllungsplattform Wikileaks mit großer Geste 300.000 „Erdoğan-E-Mails“. Später stellte sich heraus, dass von Erdoğan selbst gar keine E-Mails dabei sind.

Mehr noch: Die Publizistin Zeynep Tufekci wies jetzt darauf hin, dass Wikileaks Links zu einer Datenbank mit – Stichproben zufolge aktuellen – Privatadressen fast aller erwachsenen Frauen in der Türkei verbreitete. Persönliche Daten von Millionen Privatpersonen im Netz: Was war noch gleich so großartig an diesem Leak?

Auch in den USA wurden dieses Wochenende Dokumente veröffentlicht. 20.000 E-Mails sollen zeigen, dass die Parteiführung der Demokraten schon seit Langem gegen Sanders intrigierte. Die Vorsitzende trat daraufhin zurück.

Im Vergleich zu früheren Wikileaks-Enthüllungen ist das eher ein machtpolitisches Detail – und erst recht im Vergleich zu den Türkinnen, deren Adressen nun anscheinend jeder leicht herausfinden kann. Angesichts der politischen Situation in der Türkei ist das mehr als besorgniserregend.

Vor zehn Jahren war Wikileaks mit dem Ziel angetreten, unethisches Verhalten in Politik und Wirtschaft aufzudecken. Die Methode, unkuratiert Daten zur Verfügung zu stellen, wurde dabei immer wieder kritisiert, aber für die brisanten Informationen letztlich in Kauf genommen. Dokumente über die Kriege in Afghanistan und dem Irak waren dabei, die Guantánamo-Papiere ebenso.

Das ist lange her. Die politisch wirklich brisanten Datenleaks der letzten Jahre kamen von Rechercheverbänden wie dem International Consortium of Investigative Journalists. Und: Panama Papers, Luxemburg-Leaks und NSA-Papiere waren kuratiert.

Parteiinterne Machtspielchen, durch leichtfertige Verlinkungen gefährdete Persönlichkeitsrechte – nach zehn Jahren scheint Wikileaks den ursprünglichen Anspruch aus den Augen verloren zu haben.

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Katrin Gottschalk
Vize-Chefredakteurin
Stellvertretende Chefredakteurin der taz seit April 2016. Vorher Chefredakteurin des Missy Magazine. Aufgewachsen in Dresden. Schreibt über Kultur, Feminismus und Ostdeutschland. In der Chefredaktion verantwortlich für die digitalen Projekte der taz. Jahrgang 1985.
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12 Kommentare

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  • Schluss: Noch meine ich mich darauf verlassen zu können, dass sich deutsche Gerichte an das Urteil des BVerfG vom 15.12.2015, 2 BvR 2735/14 erinnern, das zu den "Schutzgütern der Verfassungsidentität, die auch vor Eingriffen der supranational ausgeübten öffentlichen Gewalt geschützt sind", die Menschenwürde rechnet. Dieses Grundvertrauen, das zu Zivilcourage ermutigt, hat Erdogan nachhaltig zerstört: tausende von Richtern, die intransparent auf schwarze Listen der Macht gerieten, sind entlassen und sogar eingesperrt worden. Bürgerliche Freiheiten verschwinden, wenn sie zu selten in Anspruch genommen werden. Man braucht überall auf der Welt Persönlichkeiten wie Wilhelm Tell, die sich weigern, den Gessler-Hut der bloßen Intention (Minderjährigenschutz, Frauenschutz, Anti-Terror) zu grüßen. Wir sind keine Helden; auch "Normalbürger" müssen allerdings mehr tun als nur Zuzuschauen: wir müssen die Menschenrechte verteidigen, da, wo sie bedroht sind; siehe BVerfG: "die Grundsätze der in Art. 1 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG für integrationsfest erklärten Schutzgüter dulden keine Relativierung. [Wenn] eine strafrechtliche Reaktion auf ein sozial-ethisches Fehlverhalten durchgesetzt wird, [wäre sie] ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Jacob_Appelbaum

  • Fortsetzung: Mit meiner impliziten Aufforderung zur Freude am konzentrierten Lesen will ich dazu beitragen, eine subtilere Weltwahrnehmung im Internet vor dem Verschwinden zu bewahren, denn Bildung ist nicht nur etwas für Eingebildete: Mit Zwang und Strafe durchgesetzte Normen, die keine Rechtfertigung haben, gehen uns alle etwas an, auch wenn wir uns derzeit noch nicht bedroht sehen: Stellen wir uns einmal vor, wir fotografieren in Berlin mit unserem Handy Caravaggios: "Amor vincit omnia". Das ist nach § 184b StGB Herstellung und Besitz "kinderpornographischer Schriften" (§ 11: Den Schriften stehen Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen gleich), denn Caravaggio gab mit seinem Meisterwerk ein "ganz oder teilweise unbekleidetes Kind in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung" wieder. Exekutive und Legislative haben für eine solche "Tat" ohne Opfer und ohne Unrecht eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorgesehen. Ich bin (fast) sicher, dass in Deutschland niemand für so eine Nicht-Tat ins Gefängnis muss, selbst wenn er sich zuvor öffentlich gegen die durch nichts gerechtfertigte Insinuation gewandt hat, Snowden sei ein Spion im Dienste Russlands.

  • Fortsetzung: Umso lobenswerter also, wenn unser Bundesjustizminister auch einmal den umgekehrten Weg geht und den Versuch unternimmt, Opfer von Strafbestimmungen, die ein moralisch nicht negativ zu bewertendes Verhalten kriminalisierten (einverständliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen) zu rehabilitieren. Warum dulden denkende Menschen, dass die härteste staatliche Sanktion auch in Fällen angewendet wird, in denen es weder Geschädigte noch Gefährdete gibt? Nie war die Tendenz so deutlich wie heute, mit "Likes", Emoticons und kurzen Twitter-Posts die Kommunikation auf das absolute Minimum zu komprimieren. Das ersetzt Diskussion über Inhalte (z.B. Ursachen für Terror) durch eine über Gefühle (z.B. Terrorangst). Wer am statuts quo der Macht interessiert ist, will "Brot und Spiele", muss das sprachlich Anspruchsvolle ins Abseits rücken.

  • Ich fürchte, hier steht die taz auf der falschen Seite, nicht zuletzt wegen einer Nutzung des Strafrechts zu Lasten der Grundrechte von Menschen wie Assange: Änderungen im Strafrecht zielen fast überall in der Welt auf eine Erhöhung des Repressionsniveaus. Unter dem Schlachtruf "Nein heißt Nein!" sollen in Deutschland moralisch untadelig handelnde Männer dem asymetrischen Risiko ausgesetzt werden, dass weibliche Sexualpartner zum Ausgleich für das unter Umständen nur eingeredete Gefühl, als Objekt für ein sexuelles Abenteuer "missbraucht" worden zu sein, den Staat für Rachemaßnahmen einsetzen (zumindest bis zur Ebene Polizei und Staatsanwaltschaft; für politisch missliebige Personen ist bereits dies höchst wirksam: Assange sitzt nun schon 4 Jahre in quasi-Haft, NSU-Ermittler Edathy erlebte die gesellschaftliche Verbannung, Appelbaum wurde nach anonymen sexuellen Vorwürfen aus beruflichen Wirkstätten entfernt).

  • Die taz wurde einmal gegründet, um sich nicht an selbstverordneten Nachrichtensperren (wie die im Deutschen Herbst 1977) zu beteiligen. Vor diesem Hintergrund ist die Positionierung er taz zu WikiLeaks eigentlich eine Schande. Zunächst versuchten taz-Redakteure sich bei dem WikiLeaks-Aussteiger Daniel Domscheid-Berg, der objektiv das Spiel der CIA spielte, einzuschleimen, in der Hoffnung später von dessen Enthüllungsplattform Openleaks zu profitieren, aus der aber nie was wurde.

    Dann ging die taz wegen der seit 6 Jahren andauernden Ermittlungen gegen Julian Assange auf Distanz zu ihm, obwohl eine UN-Arbeitsgruppe seine Verfolgung als unrechtmässig bezeichnet hat.

    Und jetzt wird WikiLeaks runtergeschrieben, obwohl die Informationen der Huffington Post über die türkischen Mails meiner Meinung nach (ich habe sie mit einer deutschtürkischen Freundin zusammen intensiv durchsucht) falsch sind.

    Was die taz damit tut: Sie recherchiert nicht, schwimmt – wie bei so vielen anderen Themen – brav im Mainstream mit, ignoriert ihre Tradition und macht sich überflüssig. Sehr schade.

    • @Michael Sontheimer:

      Dem kann man zustimmen. Wenn es schon heißt: "die großen Zeiten sind vorbei" - dann gilt das überall, insbesondere für die gesamten Mainstream-Medien welche, anstatt selbst kritisch zu berichten und die Politik und die Konkurrenz zu kontrollieren darauf warten daß von anderer Seite - von Menschen welche wesentlich mehr riskier(t)en - die heißen Kartoffeln aus dem Feuer geholt werden auf daß sie vom Mainstream serviert werden können.

       

      Die gesamte derzeitige Situation ist von diesen Medien im wesentlichen mit- wenn nicht hauptverantwortet.

       

      Wer von anderen Perfektion einfordert sollte sich nicht ins Glashaus setzen.

  • Was ist aus der taz geworden? Was soll das Wikileaks-Bashing?

    Natürlich sind Wikileaks nicht die Einzigen, die kritische Informationen an die Öffentlichkeit bringen. Wikileaks ist da Wegbereiterin, für das Leaken von grossen Informationsmengen über das Internet.

    Was soll die Geschichte mit dem Link, der in den Mails enthalten war. Ein Link ist ein Link und kann auch ohne Wikileaks aufgerufen werden - Google reicht. In der Datenbank sind Frauen und Männer enthalten - aber Frauen als Opfer ziehen bei der taz wohl besser. Bescheuerterer geht es wohl wirklich nicht.

    Eine sachliche Diskussion darüber, hinter wie vielen Enthüllungen tatsächlich Nachrichtendienste stecken - unabhängig von Wikileaks aber Wikileaks eingeschlossen - wäre ein lohnender Artikel gewesen. So ist dies unsinniges Wikileaks-Bashing.

    Wasserman Schultz ist übrigens nahtlos in das Wahlkampfteam von Hillary Clinton gewechselt - das zeugt nicht gerade von einem Schuldeingeständnis sondern von einer Belohnung für ihre Tat und wirft ein weiteres schlechtes Licht auf die zu recht unbeliebte Präsidentschaftskandidatin Clinton.

  • Wikileaks hat das Wesen (oder Unwesen) der Nachrichtendienste privatisiert. Ganz im Sinne des Neoliberalismus eigentlich. Was von Privatarmeen, Bürgerwehren, Selbstjustizlern und anderen Selbstermächtigten bis hin zu selbstermächtigten Scharfrichtern zu halten ist muss zumindest kritisch gesehen werden. Pauschal ist das immer schwierig. Macht ohne Kontrolle ist aber stets fragwürdig. Die Nahtlinie zwischen Aufklärung und dem spielen mit Schicksalen ist dünn und gefährlich. Wer kennt die Folgen seines Handelns im großen Stil denn wirklich, hat den Einblick und den Überblick, wer hat die Kontrolle, wo sind die Checks and Balances? Wer ist demokratisch mehr legitimiert? Die Parteien, in dem Fall die Demokratische Partei und ihr Vorstand, oder Wikileaks? Und wem nützt das Ganze? Wie frei kann eine Organisation, die sich der Aufklärung verpflichtet sieht, noch agieren, wenn sich einer ihrer Protagonisten quasi in russischer Schutzhaft befindet? Sollte Trump, dem Kreml eher gewogen als Clinton, diesen Vorteil jetzt erfolgreich nutzen und Präsident werden, dann war die "Aufklärung" ein echter Bärendienst. Den Kommentar von Katrin Gottschalk halte ich für fällig und richtig.

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    Die Datenbank von der gesprochen wird enthält die Daten der hälfte aller türkischen Bürger. Diese Datenbank ist für jeden der google nutzt in 30 Sekunden zu finden und da die Medien darüber bereits ausführlich berichtet haben handelt es sich dabei nun wirklich um kein Geheimnis.

     

    Das in dieser Datenbank überproportional viele Frauen genannt werden wiederspricht dem was ich bisher gehört habe und ich vertraue den IT-Experten von tenable und co. in dieser Sache mehr als den "Journalisten" der Huffington Post.

    Die Implikation das Frauen durch solch einen Leak mehr gefährdet werden zeigt die Heuchelei dieser "progressiven" Aktivisten. Frauen werden gerne weiter in der klassischen Opferrolle dargestellt, sollen gleichzeitig aber total "empowert" sein.

     

    Das die Leaks selber keine Relevanz haben ist offensichtlich falsch. Wenn sie die Vorsitzende der demokratischen Partei zum Rücktritt zwingen liegt es auf der Hand das es sich um eine ziemliche Sauerei handelt.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Huffington Post (und da verweist der 1. Link hin) versucht jetzt anscheinend die Integrität und Bedeutung von Wikileaks zu beschädigen, nachdem die Kür ihrer First Lady of Progressive Liberalism durch den DNC-Leak massiven Schaden genommen hat.

     

    Den DNC-Hack als "machtpolitisches Deal" zu bezeichnen, ist nicht nur billig sondern fast schäbig. Da wird also dargelegt, dass innerhalb der Democratic (sic!) Party, demokratische Prozesse und Prinzipien von den Parteioberen mit Füssen getreten werden - und das sollte bloß "machtpolitisches Deal" sein?

     

    ICIJ wird zu 1/3 von George Soros finanziert und die Mutterorganisation (Center for Public Integrity) von der Ford Foundation. Die geflügelten Namen kann sich jeder zulegen. Ich bin eher für die Regel "follow the money".

    • 3G
      33523 (Profil gelöscht)
      @10236 (Profil gelöscht):

      So ist es, hier geht es nicht wirklich um Wikileaks, hier geht es um Schadensbegrenzung.

       

      In der Vergangenheit hatte weder die taz noch wie Huffington Post ein Problem mit Veröffentlichungen von WikiLeaks, auch wenn andere Behauptet haben sie würden Menschenleben gefährden.