piwik no script img

Kommentar Wikileaks213.251.145.96

Wolf Schmidt
Kommentar von Wolf Schmidt

Journalisten sollten die Versuche scharf verurteilen, Wikileaks aus dem Netz zu drängen und damit auch den Spendenfluss an die Enthüllungsplattform abzudrehen.

M an muss den Wikileaks-Chef Julian Assange nicht sympathisch finden. Und nach allem, was man so hört, ist er vermutlich ein egozentrischer Kotzbrocken. Dennoch sollten gerade Journalisten die Versuche, Wikileaks aus dem Netz zu drängen und die Geldzuflüsse an die Geheimnisenthüllungsplattform abzuschneiden, scharf verurteilen.

Nicht bei allen, aber bei vielen der in den Diplomatendepeschen enthaltenen Vorgänge gibt es ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit, von ihnen zu erfahren. Etwa wenn es darum geht, wie die USA massiven Druck auf Deutschland ausübten, wegen der Verschleppung des Deutschen Khaled El Masri durch die CIA nicht juristisch gegen die Geheimdienstler vorzugehen.

Oder wenn man nachlesen kann, wie der jemenitische Präsident Angriffe der USA in dem Land vertuscht, ebenso wie die Zahl ziviler Opfer im Antiterrorkampf.

Bild: urban zintel

Wolf Schmidt ist Inlandsredakteur der taz.

Viele Kommentatoren warnen nun vor möglichen negativen Folgen der Veröffentlichung, die es zweifelsohne gibt. Aber es gibt eben auch positive. Die wichtigste vielleicht: Regierungen werden es nicht mehr so leicht haben, ihr Volk zu belügen. Denn sie wissen: Irgendwann könnten Dokumente den Weg ins Netz finden, die sie entlarven. Wenn es die USA erwischen kann, kann es jeden erwischen.

Ohnehin sind die Versuche, Wikileaks vom Netz zu nehmen, bisher ziemlich erfolglos geblieben. Zwar kann man wikileaks.org nicht mehr direkt ansteuern, wer aber einfach die Ziffernfolge 213.251.145.96 in das Suchfeld seines Internetbrowsers eintippt, kann sich die bisher erschienenen Diplomatendepeschen und tausende weitere Dokumente auf den Rechner herunterladen. Nein, sie sind nicht die ganze Wahrheit. Aber sie gehören zur Wahrheit mit dazu.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Wolf Schmidt
Inlandsredakteur (ehem.)
Jahrgang 1979. War bis 2013 in der taz zuständig für die Themen Rechtsextremismus, Terrorismus, Sicherheit und Datenschutz. Wechsel dann ins Investigativressort der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • S
    swami

    Ja genau - jetzt wird erstmal viel diskutiert dafür und dagegen

    Wäre doch nur schön wenn es eine neue und gute Qualität in der Kommunikation gäbe

    Mehr Öffentlichkeit und Transparenz und schamlos die Lügen und Intrigen unserer Demokratie offenlegen

    Wie sonst sollte man andere Staaten und vor allem deren Bürger denn von der Demokratie überzeugen? Durch geld und Korruption ?

  • D
    davidly

    Kommentator Gerit fragte:

    "Wollen Sie Ihre Steuererklärung oder Ihre Artzrechnung im Internet lesen?"

     

    Ähm. Ginge es um eingenommenen Steuergeld des Volkes und Agieren in Name von dessen, AUF JEDEN VERDAMMTEN FALL!

  • AV
    Axel Vulpes

    Danke!! Danke, endlich, diesen Tenor vermisse ich bei der "Freien Presse" im allgemeinen!

    Kein Journalist würde seinen Informanten verpetzen, wenn er noch an Infos rankommen will und einen aufklärerischen Anspruch verfolgt. Wikileaks war und ist die Chance der sich als aufklärerisch gebenden Presse, eine Lanze für tatsächliche Öffentlichkeit zu brechen. Und was kommt zur Festnahme von Assange? das reinste Boulevardgeplämpel! Das er ein Egomane ist - aha. Na und? Muss gerade er eine Engel sein? Darf erst jener in die Bütt, der ohne fehl und tadel ist? dann viewl Spaß mit unseren Staarsoberhäuptern. Assange jetzt deswegen zu verurteilen, wäre mindestens heuchlerisch.

     

    Der Prozess seit Veröffentlichung der Depeschen (Offene Einflussnahme konservativer kreise, eine fast konzertierte Aktion der Provider zur Abschaltung der Plattform, Sperrung der Konten, Haftbefehl gegen den PR-Verteter samt Verhaftung, Plattform nur noch unter Schwierigkeiten zu erreichen, UND komische Berichterstattung darüber) sollte uns nicht nur zu Denken geben über das Wesen der medialen Demokratie - wir sollten Angst haben um die mediale Demokratie! Wenn die zur Kaltstellung eines Mannes soviel aufbieten und ein Halali zwischen Medien, Firmen und Politikern ausbricht - was bedeutet das für uns alle?

     

    Und warum - VERFLUCHT NOCHMAL - wird ewig in Parlamenten über Kinderpornografiew im Netz diskutiert, wenn man Plattfoemen innerhalb kürzester Zeit so lahmlegen kann??? Das stinkt!

  • K
    kotelette

    Sehr guter Kommentar!

     

    Ich habe mich selbst durch die bisher verfügbaren cables gewühlt, und wieso ausgerechnet publiziert Spiegel den tratsch über deutsche Politiker?

     

    H. Clinton hat denke ich nicht aufgeregt rumtelefoniert um vor Tratsch zu warnen. Da kommen noch ganz andere Verwicklungen heraus, wie schon auch hier genannte Transportverschiebereien an Länder und Gebiete, die nicht ganz koscher sind u. a.

     

    Der Plan der USA geht voll und ganz auf. Die lame-stream Medien berichten schön über Assange und sein Privatleben und nicht über die Brisanz der cables und ihre politischen Verwicklungen. Das ist beschämend, dass das so funktioniert.

  • GF
    Gerda Fürch

    Kann Arkora zustimmen.

     

    Und Daniel Domscheid-Berg produziert sich als Ego-Aussteiger ebenso, wenn er gerade "Focus" ein Interview gibt und verkündet, daß er jetzt auch eine eigene Internet-Plattform installieren will und dafür öffentlich wirbt. Wo ist da der Unterschied zu Julian Assange und Wikileaks?

     

    Computer-Freaks sind nun mal sehr eigenwillige Persönlichkeiten wie es auch viele andere in anderen Branchen gibt. Das ist doch bekannt und gar nicht neu oder verwerflich. Stört mich also nicht.

     

    Aber der eigensinnige Charakter von Josef Ackermann von der Deutschen Bank mit weltweiten Verflechtungen stört mich allerdings sehr oder befremdet mich. Oder als weiteres Beispiel der IWF. Dadurch wird viel größerer Schaden angerichtet, zumindest in Europa. Oder vielleicht auch in den USA?

     

    Wer ist denn von Eigensinnigkeiten überhaupt befreit? Irgendwie hat doch jedermann seine Macke im Oberstübchen. Auch ich und Du. Siehe beispielsweise auch Guido Westerwelle, Wolfgang Schäuble (jüngst seine öffentliche Mitarbeiterschelte und Mitarbeiterzhynismus!), Sarkozy in Frankreich und erst recht Berlusconi in Italien.

  • A
    Arne

    Auch wenn sich hier einige Kommentatoren des Kommentars sicher sind, daß endlich mal jemand vernünftig kommentiert: warum kommt eigentlich kein Journi ohne den Verweis auf den PR-Repräsentanten des Projekts aus?

     

    Meine Güte, warum um alles in der welt kümmert sich *niemand* um die wirklich interessanten Cables, zum Beispiel Transfer Militärmaterials durch Blackwater aus deutschen Beständen nach Afghanistan ohne Exporterlaubnis? Um Raketentestkammern, die an den Iran gehen sollten, unter Umgehung der Nichtproliferationsabkommen?

     

    Hallo, jemand zu Hause?!!elf!

  • DS
    Der Südländer

    Endlich mal ein brauchbarer Artikel...

     

    Hier muss man ja echt langsam suchen...

  • WW
    Wolfram Wehpke

    Das sehe ich ganz ähnlich wie Herr Schmidt. Allerdings finde ich bei der ganzen Aufregung um Wikileaks noch eine ganz andere Sache beunruhigend.

    Denn es handelt sich ja nicht nur um gezielte Versuche die Seite aus dem Netz zu drängen, sondern seither wird das Internet auch hier in der Bundesrepublik zensiert. Als die Domain wikileaks.org noch existierte, mußten z.B. Kunden des Internetproviders Arcor (haben wir in der Firma) feststellen, das die Seite zwar geladen wurde, aber eben unmerklich unvollständig - cablegate fehlte und die anderen Menüpunkte ließen sich nicht öffnen, da angeblich keine Verbindung hergestellt werden konnte.

    Interessanterweise lies sich die Seite sehrwohl komplett laden, wenn ein Proxyserver dazwischengeschaltet wurde, also quasi erst ein anderer Server besucht wurde, der dann zu wikileaks.org vermittelte. Dann waren auch alle Menüpunkte anwählbar.

    Ähnliches beim Provider Alice, wo zwar die Seite geladen werden kann, jedoch der Download der Daten gesperrt ist. Beim Versuch die Bittorrent Dateien zu laden ist dann wiedereinmal angeblich keine Verbindung möglich. Kaum hat man einen Proxyserver dazwischen existieren die Dateien dann überraschender Weise doch. Ein Ausruf der Entsetzens in den Medien - Fehlanzeige!

    Mann kann Wikileaks sicherlich gut oder schlecht heißen, aber die Art und Weise, wie in unserem doch ach so demokratischen, freien, auf Meinungs- und informationsfreiheit stolzen Land zensiert wird, ist nur mehr ernüchternd.

    Ich frage mich, was die Menschen in anderen "Demokratien", wie z.B. Russland oder aber im so oft wegen seiner Zensur kritisierte China wohl denken würden, wenn sie das läsen.

    Das sich scheinbar niemand mit solcher Zensur auseinandersetzt, zumindest aber keine mir bekannten Nachrichtenorgane sich damit zu befassen scheinen, legt vor Allem eine Schlussfolgerung nahe. Der Druck seitens der US Behörden muss derart massiv sein, das man dem ganzen Thema von Seiten der Massenmedien hierzulande nur den Charakter spaßiger Anekdoten wie "Teflon Merkel" etc. angedeihen lässt, um so mittels belangloser niedlicher Anekdötchen das Thema möglichst auszusitzen. Und das möglichst ohne dabei Aufsehen zu erregen.

    Ich bin der Meinung, das ein Volk mit unserer Geschichte doch einen respektvolleren Umgang mit der Wahrheit führen sollte, auch wenn das vielleicht dem ein oder anderen nicht passt. Jedenfalls sind Angst und Lähmung nicht gerade Tugenden, die unser Land in der Vergangenheit weitergebracht haben. Aber da gibt es natürlich Nutznießer. Im dritten Reich waren es die Nazis und auch heute gibt es sicherlich Kreise, die ein solches Verhalten gut heißen.

     

    Mit freundlichen Grüßen

     

    Wolfram Wehpke

  • S
    Stephan

    Kurz, prägnant, aber gerade ab dem zweiten Absatz ist einfach alles zu 100% richtig.

    Öffentliches Interesse ist vorhanden, nicht nur ein wenig.

     

    Es ist schade, dass in den Mainstream(TV)Medien fast ausschließlich nur über den "Tratsch" geht. Der Otto-Normal-Bürger bekommt so den Eindruck, dass die 250.000 Depeschen nur private Meinungen über irgendwelche Politiker enthalten, die man eh schon kennt.

  • J
    jan

    Endlich. Der klügste Artikel in der deutschen Presselandschaft zum Thema.

     

    Bei der NYT sind sie schon einen Schritt weiter und nähern die phantastische Medienrealität langsam an die neue, überraschend andersartige reale Realität an:

     

    nytimes.com/2010/12/05/opinion/05friedman.html?_r=1&ref=opinion

  • T
    temp

    Endlich einmal ein Text bei dem sich mir nicht die Fußnägel hochklappen. Danke.

     

    Dachte gerade "Was sind eigentlich Kommentare wert, die von Menschen geschrieben werden, die im Status Quo voll integriert sind und absolut außer Stande sind, zu sehen was der Sinn hinter WikiLeaks ist?" Hm, Wikileaks die missverstandenen Aliens, das werd' ich wohl nochmal bebrüten.

     

    Was mir noch dazu einfällt ist wieder mal nur, welchen Sinn hätte Wikileaks wenn die übergebenen Dokumente nicht veröffentlicht würden. Wobei ich die Konzentration auf die großen Dinger etwas merkwürdig finde und "Cablegate" ist als Wortschöpfung echt daneben. Aber Abhilfe ist durch die Wikileaks-Aussteiger in Sicht. Mies wäre es, wenn die "kleinen" Leaks von Wikileaks nicht übergeben würden, dann wäre die Glaubwürdigkeit doch sehr angeschlagen...

  • F
    fernetpunker

    Transparenz ist wichtig, ja. Und von einer "Zensur" durch Journalisten halte ich auch nichts. Aber die Auswahl der Dokumente scheint auf einen privaten Feldzug von Assange gegen die USA zu zeugen. Man sollte sich als Öffentlichkeit auch nicht instrumentalisieren lassen.

  • G
    Gerit

    Zur Wahrheit, Herr Schmidt, gehört auch, dass niemand will, dass ein Brief auf dem Postsack gezogen und sein Inhalt willkürlich im Internet veröffentlicht wird. Das gilt auch, wenn jemand einen Brief an politische Amtsträger verschickt oder von einer Behörde einen Brief erwartet. (Wollen Sie Ihre Steuererklärung oder Ihre Artzrechnung im Internet lesen?)

     

    Willkürlich hundertausende innerbehördliche Mitteilungen zu veröffentlichen ist intrigant, und zwar besonders dann, wenn die Inhalte eher banal sind. Denn damit wird die Kommunikation insgesamt zumindest gestört, vielleicht sogar zerstört, womöglich sogar dort, wo es politische Spannungen und Kriegsgefahren gibt, gegen die Kommuniktation - das Reden miteinander - das allerwichtigste Mittel für den Erhalt von Frieden ist.

     

    Assange hat der zwischenstaatlichen Kommunikation m.E. schwersten Schaden zugefügt. Es hat sich gezeigt, dass Archivsperrfristen von 50 Jahren ihren Sinn haben.

  • A
    Arkora

    "nach allem, was man so hört, ist [Assange] vermutlich ein egozentrischer Kotzbrocken."

     

    Aha, nach allem, was man so hört. Von wem denn? Domscheit-Berg hat sich über seine Art beklagt, bescheinigt ihm aber auch, dass er auf vielen Gebieten eine brilliante Persönlichkeit wäre. Und dass die Mainstream-Presse und Regierungs-PR gerade versucht, Assange ad-hominem anzugreife, war absehbar. Bezeichnend ist, dass viele unserer Systemjournalisten sich auch darauf beschränken, immerhin dieser Artikel nicht.

     

    Assange hat sicher ein gewisses Ego, na und? Wer sich mit der US-Regierung auf diese Art anlegt, der braucht das auch. Wie gesagt, es ist bezeichnend, dass die Deppenpresse sich zu großen Teilen an Assange abarbeitet, über Wikileaks' Grundsätze, Veröffentlichungsprinzipien etc. aber haltlosen Schwachsinn verbreitet. Was derzeit von einer angeblichen "totalen Öffentlichkeit" verzapft wird, ist einfach nur noch peinlich. Wikileaks vertritt nichts, was auch nur annähernd in diese Richtung geht, und das ist auch sehr leicht herauszufinden, wenn man möchte. Stattdessen strickt man Boulevard-Stories um Assange. Traurig, und bezeichnend für den Zustand unserer Presse.

     

    Dieser Kommentar von Herrn Schmidt ist da immerhin noch eine Ausnahme, aber leider hat auch er auf das Bashen von Assange nicht verzichten können. Schade.

  • J
    Johan

    Wenn Ihnen Herr Assange unsymphatisch ist was ist dann mit Herrn Dumont? Brechmittel?

     

    http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,732907,00.html