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Kommentar Wiener FlüchtlingsgipfelVor allem Grenzen sichern

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Es ging in Wien nicht darum, die Migration in geordnete Bahnen zu lenken. Die europäische Flüchtlingspolitik war schon mal weiter.

Hier wäre noch Platz für eine zukunftsweisende Flüchtlingspolitik gewesen Foto: dpa

D ie Außengrenzen sichern, die Balkanroute dicht halten, Frontex stärken, Drittstaatenabkommen zwecks Abschiebung abgelehnter Asylbewerber ausdehnen: Dies waren die Stichworte des Flüchtlingsgipfels von Wien.

Schließlich gelte es, so EU-Ratspräsident Donald Tusk, den Zugang „illegaler Migranten“ zu verhindern. In diesem Ansatz jedoch ist impliziert, dass a priori alle Migranten illegal sind, schlicht weil legale Zugangswege gar nicht vorgesehen sind. Vor wenigen Monaten noch schien es, als wäre die Diskussion in Europa ein Stück weiter.

Wer Schleusern das Handwerk legen wolle, hieß es damals, der müsse über sichere Zugangswege für politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge nach Europa nachdenken, also über Möglichkeiten, Asyl oder humanitären Schutz nicht erst nach einer lebensgefährlichen Bootsfahrt zu beantragen. Und wer die Migration in geordnete Bahnen lenken wolle, komme an einer Einwanderungspolitik, die diesen Namen verdient, nicht vorbei.

Stattdessen gilt jetzt wieder: zurück auf Los, auf jenen Stand, auf dem Europa jahrelang verharrt hatte. Vielen mag es zum Beispiel einleuchten, dass abgelehnte Asylbewerber leichter abgeschoben werden sollen. Doch die Praxis zeigt, auf welch rutschiges Gelände Europa sich hier begibt. So schloss Italien vor wenigen Wochen erst ein Abkommen mit dem Sudan, am 24. August dann wurden 48 Sudanesen in einer Blitzaktion von Turin aus in ihr Heimatland ausgeflogen. Wie das – weiterhin geheime – Abkommen lautet, ob die Abgeschobenen überhaupt Zugang zu einem regulären Asylverfahren hatten: Keiner weiß es. Allzu bekannt ist aber, wie es im Bürgerkriegsland Sudan um die Menschenrechte bestellt ist.

In letzter Konsequenz könnte so die ganze Welt zu einer Summe sicherer Herkunftsstaaten erklärt werden. Meinte Kanzlerin Merkel dies, als sie auf dem Wiener Flüchtlingsgipfel von „humanitärer Verantwortung“ sprach?

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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3 Kommentare

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  • 3G
    35355 (Profil gelöscht)

    Es wird nicht ohne einen Dreiklang gehen. Zum einen braucht es Möglichkeiten, sich von überall in der Welt um eine Einreise nach Europa bewerben zu können, ohne unter Gefahr hierher reisen zu müssen. Eine solche Politik kann aber politisch und wirtschaftlich nur dann Bestand haben, wenn die illegale Einreise gestoppt wird und abgewiesene Schutzsuchende auch tatsächlich zurückgeführt werden.

  • "…In letzter Konsequenz könnte so die ganze Welt zu einer Summe sicherer Herkunftsstaaten erklärt werden. Meinte Kanzlerin Merkel dies, als sie auf dem Wiener Flüchtlingsgipfel von „humanitärer Verantwortung“ sprach?"

     

    Wohl schonn!

    Es war Manés Sperber - der Autor des revolutionären Menschen des 20.Jahrh.

    (Wie eine Träne im Ozean usw) - der Europa empfahl sich in eine

    Waffenstarrende Einheit zu verwandeln - drob heftigst beschimpft! Zu recht!

     

    Er hatte das nur wenig anders gemeint!

    Waffenstarrender - Aber -

    Frontex Nato-Draht Kriegsschiffe &

    Überwachungssysteme! Reicht hin!

    Das - also ist des Angies EU-PudelsKern!

    Leichen pflastern unsere Strände!

    Erbärmlich inhumaner war selten!

    • @Lowandorder:

      Vielleicht wäre der Titel "Wie ein Blatt im Wind" treffender gewesen für eine Roman-Trilogie mit "stark autobiografische[n] Züge[n]" über diesen Manés Sperber. Eine Träne im Ozean ist schließlich auch salziges Wasser und insofern recht gut aufgehoben. Trotzdem danke für den Hinweis.

       

      Die familiäre Prägung, scheint mir einmal mehr, ist wohl nicht alles. Im Laufe eines langen Lebens kann ein Mensch, der "in der Tradition des Chassidismus auf[gewachsen]" ist, offenbar durchaus erst zum Begründer der Individualpsychologie, dann zum überzeugten Kommunisten und schließlich zum "Initiator" eines "antikommunistischen Kongresses für kulturelle Freiheit" werden, der sich von der CIA finanzieren lässt. Wäre solch ein Spagat ein rein sportlicher, wäre er entschieden schmerzhaft im Schritt, denke ich.

       

      Man mag sich fragen, wie es dazu kam. Ich vermute stark (und stütze mich dabei sowohl auf persönliche Erfahrungen als auch auf fremde Publikationen und eine gewisse Fähigkeit zum logischen Denken) es hat mit den Gewalterfahrungen zu tun, die Menschen hin und wieder machen (müssen). Im Fall von Sperber war diese Gewalterfahrung offenbar nicht mit dem "sehr gefühlsbetonte[n] Vertrauen auf Gott" seiner Kindheit vereinbar. Der Schock hat den Mann aktiviert, leider ohne zuvor sein Gehirn einzuschalten.

       

      Vielleicht sollte man Manés Sperbers Geschichte exemplarisch in die aktuelle Golem-Ausstellung aufnehmen, über die gerade allenthalben informiert wird. Gleich neben einer Dokumentation über die Entstehung vom Al-Quaida, IS und Roten Khmer, die meiner Ansicht nach dringend ergänzt gehört.