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Kommentar WahlrechtsreformUngelöstes Luxusproblem

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Die Wahlrechtsreform kommt zu spät. Schuld daran ist auch das Bundesverfassungsgericht, das ohne Not das bestehende Wahlrecht beanstandet hat.

E s klingt nach einem Skandal: Drei Jahre nach dem Karlsruher Urteil hat die Politik immer noch kein Wahlrecht ohne negatives Stimmgewicht zu Stande gebracht. Wenn die Koalition nun zusammenbräche, müsste nach einem verfassungswidrigen Wahlrecht gewählt werden. Wähler könnten mit der Stimmabgabe ihrer Partei schaden statt zu nützen. Die Wahl wäre anfechtbar. Es ist zumindest ein Problem.

Verursacher des Problems ist aber zunächst das Bundesverfassungsgericht. Es hat ohne Not eine hochkomplexe Reform des Wahlrechts gefordert. Es geht um ein Luxusproblem, das nur wenige Mathematiker wirklich verstehen. Betroffen sind allenfalls eine Handvoll Mandate, wieviele konnten auch die Verfassungsrichter nicht sagen. Bei früheren Wahlbeschwerden hatte auch Karlsruhe keine Einwände gegen das negative Stimmgewicht - zu marginal schien es den Richtern.

Auch diesmal konnten die Richter nichts Dramatisches entdecken und ließen den Bundestag 2009 nochmal nach dem angeblich inakzeptablen Wahlrecht wählen. Hat jemand was vom negativen Stimmgewicht gemerkt?

Bild: taz

CHRISTIAN RATH ist rechtspolitischer Korrespondent der taz. Er lebt und arbeitet in Freiburg.

Dass die Reform kompliziert wird, hat Karlsruhe gewusst und deshalb drei Jahre Zeit gelassen. Aber dass sie so kompliziert wird, hat wohl alle Beteiligten überrascht. Jeder Vorschlag hat gravierende Nachteile, mal werden die kleinen Parteien benachteiligt, mal gibt es regionale Ungerechtigkeiten, mal wird das negative Stimmgewicht nicht vollständig beseitigt.

Belastet wird die Diskussion auch dadurch, dass die Opposition gleich noch die Überhangmandate abschaffen oder wenigstens gerecht ausgleichen will. Es wäre zwar schön, bei einer eh komplizierten Reform nebenbei noch alle politischen Streitpunkte zu beseitigen. So aber wird die Aufgabe immer unlösbarer und ein Konsens der Parteien - der beim Wahlrecht ja wünschenswert ist - scheint kaum möglich. Ist das also ein Skandal? Nein, eher ein Trauerspiel.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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11 Kommentare

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  • B
    Bob

    Was ist daran Hochkomplex ?

     

    Jeder sollte mit seiner Schulmathematik das Negative Stimmgewicht verstehen und nachrechnen können.

     

    Die taz macht hier den selben Fehler wie unsere Regierenden. Anstatt jemanden das Wort zu geben der sich in der Materie auskennt, werden mal wieder die Universaltalente aus der Rechtswissenschaft zum Kommentieren herangezogen.

     

    Warum nur ? - Haben die Naturwissenschaftler was besser

  • B
    Bob

    Was ist daran Hochkomplex ?

     

    Jeder sollte mit seiner Schulmathematik das Negative Stimmgewicht verstehen und nachrechnen können.

     

    Die taz macht hier den selben Fehler wie unsere Regierenden. Anstatt jemanden das Wort zu geben der sich in der Materie auskennt, werden mal wieder die Universaltalente aus der Rechtswissenschaft zum Kommentieren herangezogen.

     

    Warum nur ? - Haben die Naturwissenschaftler was besser

  • S
    Stefan

    Na, mag ja sein, dass das Bundesverfassungsgericht die ursprünglich skandalöse Entscheidung getroffen hat (wozu ich spontan keine Meinung habe).

     

    Wenn aber 3,5 Jahre später die gesetzte Frist verstrichten ist, war die Judikative eben seitdem skandalös untätig.

  • OA
    o aus h

    Sehr geehrter Herr Rath, es macht den Eindruck, dass Sie lieber flott schreiben wollten, ehe eine Recherche Ihre schöne Argumentation durchkreuzt hätte.

    Ja, früher fiel die Überhangmandate selten oder nie entscheidend ins Gewicht, weil die jeweils größte Partei, die logischerweise auch die meisten Direktmandate gewann, auf 40% Stimmanteil oder mehr kam. Da die Direktmandate die Hälfte der Abgeordnetensitze ausmachen, entsprachen die vom Wahlgewinner eingenommenen Direktmandate mehr oder weniger auch der Zahl der dieser Partei zustehenden Abgeordnetensitze insgesamt. Folge: Die größte Partei hat alle ihre Plätze mit Direktkandidaten besetzt, die anderen Parteien haben hauptsächlich Kandidaten von den Listen im Parlament.

    Wenn die größte Partei wie zuletzt die CDU nur gut 33 % der Stimmen hat, die zweitgrößte aber zehn Prozent dahinter liegt, gewinnt die in einigen Bundesländern alle Direktmandate (Saarland, Sachsen, fast auch Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz) und damit die Hälfte aller Plätze, obwohl ihr nur ein Drittel zugestanden hätte. Insgesamt bekam die Unionsfraktion so 24 Überhangmandate. Die Regierungskoalition hätte ohne diese Überhangmandate statt 21 Sitze über der absoluten Mehrheit nur 9 Sitze Mehrheit gehabt (weil die 24 Sitze zusätzlich sind, verändert es die Gesamtgröße des Bundestages). Das kann bei knappen Abstimmungen schon einen Unterschied machen.

    Was also bei alten Wahlen wegen der Zahlenverhältnisse der Parteien egal war, ist durch die Entwicklung der Wahlergebnisse hin zu immer kleineren "Volksparteien" ein Problem.

    Dass sich der Bundestag noch nicht auf ein neues Verfahren einigen konnte, liegt neben dem nicht nur in der Politik auftretenden Symptom des Auf-den-letzten-Moment-Wartens vor allem daran, dass jede mögliche Lösung entweder zu Lasten der großen oder der kleinen Parteien geht, und natürlich keiner freiwillig auf seinen Vorteil verzichten will.

  • T
    Turtle

    Was ist denn bitte an der Tatsache, dass eine Stimme fuer eine Partei ggf. gegen sie wirkt schwer zu verstehen?

    Das Problem ist ja laenger bekannt, als es das Urteil des BVerfG gibt. 3 Jahre sind auch mehr als genug Zeit so ein Problem zu loesen, man muss es nur mal tun.

  • DM
    Dr. Markus Bendel

    Dieser Kommentar zeugt von einer unfassbaren Ignoranz!

     

    Der Effekt des negativen Stimmgewichts ist nicht virtuell, sondern ganz real, was die Nachwahl in Dresden 2005 auch gezeigt hat. Nicht umsonst hat die CDU damals darum geworben, sie mit der Zweitstimme nicht zu wählen, da ihr sonst ein Mandat verlorengegangen wäre.

     

    Ein lupenreines Wahlrecht soll ein "Luxusproblem" sein? Also gerade das Bindeglied zwischen "Alle Macht geht vom Volke aus" und der representativen Demokratie? Ja, geht's noch?

     

    Und um das "Wie" des Zustandekommens des negativen Stmmgewichts zu verstehen, bedarf es nicht eines Mathe-Studiums, sondern lediglich fünf Minuten Zeit und ein normal-proportioniertes Gehirn.

     

    Ich hoffe, beim Schreiben des Artikels mangelte es an Ersterem ...

  • M
    marco

    Wenn Wahlen etwas ändern würden,

    wären sie verboten.

  • EM
    Eric Manneschmidt

    Einfach bundesweit kumulieren und panaschieren wie auf kommunaler Ebene längst gang und gäbe.

    Wem es wichtig ist, dass jemand aus seiner Region oder seinem Bundesland gewählt wird, der häufelt einfach seine Stimmen auf diese Kandidaten.

     

    Es muss hier überhaupt nichts kompliziert sein und mit Luxus hat es auch nichts zu tun.

  • B
    bee

    Lieber Christian Rath, wenn man von Staatsrecht keine Ahnung hat: einfach mal die Fresse halten. Mit Ihrer von Sachkenntnis größtenteils ungetrübten Pseudopolemik dürften Sie unter Jura-Erstsemestern allenfalls Heiterkeitserfolge erzielen. Mehr nicht.

  • MM
    MAx Meier

    Aha kopliziert ist das Problem also und nur von Mathematikern zu verstehen.

    Statt solche Floskeln zu schreiben hätte der Autor seine Zeit damit verbringen sollen das Problem zu verstehen-hätte...

    Das Problem resultiert aus der praktizierten Mischform aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht.

    Der Vorschlag, die Überhangmandate auszugleichen, wird übrigens in ein paar Länderparlamenten bereits praktiziert. Da das Wahlsystem der Länder dem auf Bundesebene ähnelt sollte es doch nicht sehr schwer sein die Regelungen zu übernehmen-oder?

  • T
    Thorsten

    Wenn der Kommentator dann am nächsten Wahlabend schmerzlich feststellen wird, dass eine Koalition aus Parteien mit einer Handvoll Mandaten die Mehrheit im Bundestag erreicht hat, obwohl bzw. gerade weil sie nicht die Mehrheit der Stimmen erzielt hat, werde ich ihn gern an das „Luxusproblem“ erinnern.

     

    Die Richter in Karlsruhe hatten 2008 jedenfalls erkannt, dass das negative Stimmgewicht im Bundeswahlgesetz zu „willkürlichen Ergebnissen“ führt (wohlgemerkt bei einer Wahl) und den Grundsatz der Wahlgleichheit in „eklatanter Weise“ verletzt – deutlicher kann man als Verfassungsrichter wohl nicht werden. Dass Karlsruhe dem Gesetzgeber eine so lange Frist eingeräum hatte, weil die Änderungen so kompliziert sind, einen hohen Beratungs- und Abstimmungsbedarf erfordern und eventuell große Auswirkungen haben sowie rechtzeitig vor der Kandidatenaufstellung fertig sein sollten (die 2008 bereits begonnen hatte und die auch diesmal nur noch knapp zu schaffen ist), war wohl angesichts der Politiker der Koalitionsfraktionen mehr als naiv, ändert aber nichts an der Problematik.